
Naum Granowski fotografierte seine Stadt am liebsten von oben. Für eine effektvolle Aufnahme verhandelte der leidenschaftliche Architekturfotograf geduldig mit misstrauischen Hauswarten über Dachbodenschlüssel, erklomm ungezählte Dächer und Türme und klingelte auch schon mal bei überraschten Mietern, um aus deren Wohnzimmerfenster ein besonders eindrucksvolles Foto zu knipsen.

Auch sonst scheute der Künstler, der bereits zu seinen Lebzeiten als Chronist von Moskau galt, keine Mühe. Granowski plante seine Aufnahmen bis ins letzte Detail, notierte stets akribisch Aufnahmewinkel, Licht und Motiv und soll auch mal eine halbe Stunde gewartet haben, bis sich endlich die gewünschten Schäfchenwolken ins Bild bequemten.

Angefangen hatte alles im Jahr 1926. Damals kam der fotografiebegeisterte 16-Jährige aus der ukrainischen Provinz nach Moskau. „Mit nichts als einem geflochtenen Weidenkorb in der Hand“, wie er sich später gern erinnerte. An der Arbeitsbörse fand der mittellose Jugendliche schnell eine Anstellung als Druckereigehilfe bei der staatlichen Nachrichtenagentur TASS. Später fotografierte er für die Militärzeitung „Trewoga“ und kehrte ein Jahr nach Kriegsende schließlich zur TASS zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 als Fotojournalist tätig sein sollte.

Über ein halbes Jahrhundert suchte der umtriebige Fotokünstler immer wieder dieselben Moskauer Ecken, Plätze und Straßen auf und hielt jede noch so kleine Veränderung mit der Kamera fest. Im Lauf der Jahrzehnte schuf er dabei das Archiv einer Welt, die es heute so nicht mehr gibt. Rund 35 000 Negative fanden sich schließlich in seinem Nachlass.

Granowskis Schwarz-Weiß-Aufnahmen dokumentieren die Großbaustellen und den Aufbruch der 1920er Jahre sowie die Metrostationen, Stadien und prunkvollen Wolkenkratzer aus der Hochzeit des Stalinismus.

Nach der Abkehr vom Gigantismus hielt der inzwischen wichtigste Architekturfotograf der Sowjetunion auch die Wende zum Modernismus mit dem Fotoapparat fest. Seine Bilder aus dieser Zeit zeigen beispielsweise architektonische Ikonen wie die Moskauer Olympiahalle oder das inzwischen wieder abgerissene Hotel „Rossija“.
Zirkus am Wernadski-Prospekt, 1970er Jahre (Foto: © Lumiere Gallery) Panoramamuseum der Schlacht von Borodino, 1960er Jahre (Foto: © Lumiere Gallery)
Blick auf den Roten Platz(Foto: © Lumiere Gallery) Der Bolotnaja-Platz, 1940er Jahre (Foto: © Lumiere Gallery) Forschungsinstitut „Hydroprojekt“, 1968 (Foto: © Lumiere Gallery) Blick auf die Große Steinbrücke, Ende 1930er Jahre (Foto: © Lumiere Gallery)
Birger Schütz