Der alte Bekannte

Vom Befürworter einer Annäherung zum Verfechter einer harten Gangart: Joe Biden hat im Lauf seiner fast 50-jährigen Karriere mehrmals die Sowjetunion und Russland besucht. Wie sich dabei sein Blick auf Moskau änderte.

Kein Neuling: Joe Biden verhandelte bereits in den 1970er und 1980er Jahren mit sowjetischen Politikern wie Außenminister Gromyko. Hier ein Bild von 1988. (Foto: www.e-vid.ru)

Sowjetunion

Sein erster Kreml-Besuch im August 1979 überraschte Joe Biden: „Ich erinnere mich, dass Breschnew viel kränker war, als wir dachten“, erzählte der US-Politiker 2011 in einer Rede in der Moskauer Lomonossow-Universität. Der angeschlagene Parteiführer sei schon nach kurzer Zeit vom Verhandlungstisch aufgestanden, habe sich entschuldigt und den Raum verlassen, erinnerte sich Biden, der eine Delegation von US-Senatoren anführte, die über den SALT-II-Vertrag zur Begrenzung nuklearer Trägersysteme verhandeln wollten.

Was dann folgte, werde er nie vergessen. Ministerpräsident Kossygin habe die Verhandlungen übernommen, sich ihm zugewandt und gesagt: „Bevor wir unsere Diskussion beginnen, Senator, sollten wir uns darauf einigen, dass wir Ihnen nicht trauen und Sie uns nicht vertrauen. Und dafür haben wir beide gute Gründe.“ Biden traute seinen Ohren nicht. „Das hat er genauso gesagt!“ Im 21. Jahrhundert sei so etwas aber unmöglich, erklärte Biden, der damals für einen Dialog eintrat. Es gebe keine Gründe für Misstrauen.

Wichtiger Partner

Seit Ende der 1990er Jahre engagierte sich Biden im Auswärtigen Ausschuss des Senats für ein gutes Verhältnis zu Moskau. Kein ausländischer Partner sei für sein Land so wichtig wie Russland, erklärte der US-Politiker, als er 2001 zum ersten Mal den Vorsitz des Gremiums übernahm. „Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich in Russland viel verändert, aber ich glaube, dass die Bedeutung der bilateralen Beziehungen weiter bestehen bleibt.“

Als Ausschussmitglied traf sich Biden auch mit russischen Entscheidungsträgern wie beispielsweise General Alexander Lebed. Der Militär, der mit dem Abkommen von Chassawjurt den ersten Tschetschenienkrieg beendete, versicherte Biden 1997 in Moskau, ihm sei egal, ob Tschetschenien unabhängig werde. Diese unerwartete Offenheit beeindruckte Biden tief. Er sei mit dem Gedanken abgereist, dass es Lebed wirklich ernst meine.

US-Senator Joe Biden äußert sich 1979 im sowjetischen Fernsehen zu Verhandlungen in Moskau.

Neustart-Politik

Als Vizepräsident der Obama-Administration setzte Biden zunächst auf eine Verbesserung der unter Spannung geratenen Beziehungen. „Es ist Zeit, den Reset-Knopf zu drücken und die vielen Bereiche zu überprüfen, in denen wir zusammenarbeiten können und sollten“, erklärte er kurz nach Amtsantritt auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar 2009. Erfolge der NATO müssten nicht zwangsläufig zu Kosten Russlands gehen. Stattdessen könnten beide Seiten bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus – beispielsweise in Afghanistan – zusammenarbeiten.

Erfolge der von ihm vorgestellten Neustart-Politik blieben allerdings weitgehend aus, das Verhältnis kühlte ab und auch Biden äußerte sich zunehmend kritisch. „Herr Premierminister, ich sehe Ihnen in die Augen und glaube, Sie haben keine Seele“, soll Biden 2011 bei einem Treffen mit Wladimir Putin gesagt haben. „Ich sehe, wir verstehen uns“, konterte dieser mit einem Lächeln. Mit seinen Worten distanzierte sich Biden von Ex-Präsident Bush, der meinte, beim Blick in Putins Augen dessen Seele gesehen zu haben und ihm Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit attestierte.

Im sowjetischen Fernsehen: Joe Biden bei einem Gespräch im Kreml, 1988.

Der Kritiker

Nach der Krim-Krise 2014 verschärfte Biden seine Kritik an Russland, forderte harte Sanktionen und kündigte finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine an. Russland stehe nach der Aggression „allein“ und „nackt“ vor der Weltöffentlichkeit, erklärte der US-Vizepräsident bei einem Besuch in Warschau 2014. Die Isolation Moskaus werde zunehmen, wenn es weiter an seinem Kurs festhalte.

Noch deutlicher wurde Biden bei einem Auftritt im ukrainischen Parlament. „Im 21. Jahrhundert können wir nicht zulassen, dass Länder Grenzen gewaltsam verändern“, so Biden Ende 2015. „Dies sind die Grundregeln. Wenn wir von ihnen abweichen, werden wir es bereuen. Russland hat diese Grundregeln gebrochen und bricht sie weiterhin.“ Mit diesen deut­lichen Worten ließ er es aber nicht bewenden. So beschuldigte Biden Moskau wiederholt, sich in Wahlen in Europa und Amerika einzumischen, eine Rückkehr zur Politik der Einflusssphären voranzutreiben und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen den Westen Front zu machen.

Im Oktober 2020 gipfelte die Kritik in einem Interview für den TV-Sender CBS. „Ich denke, die größte Bedrohung für Amerika ist aktuell Russland, was Angriffe auf unsere Sicherheit und die Spaltung unserer Allianzen angeht“.

Birger Schütz

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