Berüchtigtes Goljanowo

Der Name Goljanowo fällt fast immer, wenn es um die übelsten Ecken Moskaus geht. Der nordöstliche Stadtteil gilt als kriminell und gefährlich. Den Ruf befeuerte wohl erst eine alberne Liste, die vor fünf Jahren in der „Huffington Post“ erschien.

Goljanowo
Der See in Goljanowo: Man kann sich schlimmere Orte ausdenken. © Jiří Hönes

Im Mai 2014 tauchte Goljanowo auf Platz drei einer wenig schmeichelhaften Hitliste in der „Huffington Post“ auf: die schlechtesten Urlaubsziele der Welt. Seither geistert der Name immer wieder durch Online-Medien, wenn es um Moskaus kriminellste Stadtteile geht. Wir haben uns dort umgesehen.

Nahe dem Goljanower See sitzt Nino Koberidse auf einer Bank, ihr kleiner Sohn spielt im Sandkasten. „Ich kenne diese Artikel“, sagt die Vierunddreißigjährige schmunzelnd. „Ich wohne hier seit meiner Geburt und es war immer ein normaler Ort.“ Sicher, der Busbahnhof, der sei ein Brennpunkt, besonders früher sei es dort nachts gefährlich gewesen. Aber das Viertel selbst sei auch nicht schlechter als jedes andere.

Laut der Wochenzeitung „Argumenty i Fakty“ häuften sich noch 2014 Diebstähle und Raubüberfälle. Seit 2017 meldet die Stadtverwaltung leicht rückläufige Zahlen.

Brennpunkt Busbahnhof

Der berüchtigte Busbahnhof befindet sich bei der Metrostation Schtschjolkowskaja. Der Ort hat alle nötigen Requisiten für eine urbane Schauerkulisse: Fußgängerunterführungen im Stil der 1960er-Jahre, eine vierspurige Hochstraße, Zweckarchitektur. Momentan ist hier eine riesige Baustelle. Das alte Busterminal aus Sowjetzeiten ist verschwunden und es entsteht ein Neubau: Busbahnhof, Einkaufszentrum und Kino, alles unter einem Dach. Die Busse halten derweil hinter einem Metallzaun unter der Hochstraße. Hier soll der Tummelplatz für Taschendiebe und Räuber sein, ein Großteil der Verbrechen geht laut „Argumenty i Fakty“ auf das Konto von „Gastspielern“, wie man hier Kriminelle nennt, die außerhalb ihres Wohnorts zuschlagen.

Hinter den Kulissen spielt sich eine andere Form des Verbrechens ab, wie die Nichtregierungsorganisation „Bürgerlicher Beistand“ berichtet. Frauen aus Kasachstan und Usbekistan, die unter falschen Versprechungen nach Moskau gelockt wurden, seien wie Sklaven als Verkäuferinnen in Lebensmittelläden gehalten worden. Die Ladenbesitzer nahmen ihnen die Smartphones und Pässe ab, misshandelten sie und zwangen sie ohne Lohn und Freizeit zur Arbeit. Seit Jahren kommen solche Fälle wiederholt vor, immer wieder in Goljanowo.

Eine typische Schlafstadt

Vor diesem Hintergrund wirkt es beklemmend, dass die Angestellte eines kleinen Lebensmittelgeschäfts keine Fragen beantworten will – mit dem ängstlichen Hinweis auf die Überwachungskameras an der Decke. Auch sonst möchten einige lieber keine Auskunft darüber geben, wie es sich hier so lebt.

Geht man durch Goljanowos Wohnstraßen, hat man dagegen nicht das Gefühl, sich in einer der schlimmsten Ecken Moskaus aufzuhalten. Es ist eine typische Schlafstadt, zwölfstöckige Wohnblocks, viel Grün, hier und da eine Ladenzeile. In einer davon hat sogar jüngst ein hipper Barbershop eröffnet. Cafés und Bars gibt es dagegen kaum, sieht man von McDonald’s ab. Was auffällt: Überall wird gebaut und renoviert. Gehwege werden neu gepflastert, es entsteht ein neues Multifunktionszentrum für Behörden. Zu dessen Eröffnung hat sich Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin angekündigt.

Nino scheint das nicht zu beeindrucken: „Es wurde hier nicht besser und nicht schlechter in letzter Zeit. Als das Klettergerüst auf dem Spielplatz kaputt war, hat es ewig gedauert, bis die Stadt es repariert hat.“ Ganz normale Probleme also? Lässt man den Blick über den benachbarten See schweifen, wirkt Goljanowo fast idyllisch.

Jiří Hönes

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