Abschied vom Warenkorb

Wie viel Geld braucht man zum Bestreiten der grundlegenden Bedürfnisse? Diese Frage beantworteten russische Ökonomen Jahrzehnte lang mit Berechnungsmodellen aus dem Zweiten Weltkrieg. Ab dem Jahr 2021 wird nun ein neues System verwendet.

Die russische Grenze zur Armut liegt künftig bei 44,2 Prozent des mittleren Einkommens.(Foto: smolnarod.ru)

Es ist eine grundlegende Reform: Russland wechselt seine Methode zur Bestimmung des Existenzminimums. Ab dem kommenden Jahr wird der Mindestbedarf zum Bestreiten des Lebensunterhalts auf der Basis des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens berechnet. Dies beschloss die Regierung Ende September, berichtet das Wirtschaftsblatt „Kommersant“. Als arm gelten demnach künftig Menschen, deren Einkommen unter einer Grenze von 44,2 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt.

Modell aus dem Krieg

Mit dem Beschluss verabschiedet sich Moskau von der im Jahr 1997 eingeführten Warenkorbmethode. Diese stammte noch aus Zeiten der Sowjetunion und ist in den meisten postsowjetischen Nachfolgestaaten bis heute verbreitet. Der Ansatz basiert auf einem Korb von Waren und Dienstleistungen, dessen genaue Zusammensetzung von Ökonomen und Soziologen festgelegt wird. Wer sich diese Güter nicht leisten kann, galt offiziell als arm. Was genau in den Korb gehört, wurde das letzte Mal im Jahr 1999 bestimmt. Historisch geht das Berechnungsmodell aber auf den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit und das damals auch in Westeuropa verbreitete Kartensystem zur Nahrungsrationierung zurück. Der zuletzt gültige Warenkorb bestand zur Hälfte aus Lebensmitteln wie beispielsweise 126,5 Kilogramm Brot, elf Kilogramm Butter und 42 weiteren einzeln aufgeführten Lebensmitteln pro Jahr. Einer gesunden Ernährung nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspreche dies nicht, merkt der „Kommersant“ an. Die Ausgaben für die Lebensmittel wurden quartalsmäßig bestimmt.

Künftig zählt das mittlere Einkommen

Die andere Hälfte des Korbes setzt sich aus Dienstleistungen, obligatorischen Zahlungen und Gebühren zusammen. Deren Kosten sollten alle fünf Jahre überprüft werden. Der Übergang zum neuen System der Berechnung wird mit mehreren Problemen der Warenkorb­methode begründet. So habe das bisherige Existenzminimum nur in 13 russischen Regionen den wirklichen Verhältnissen entsprochen, kritisierte das Arbeitsministerium. In elf Gebieten lägen die eigentlichen Kosten für die Bestreitung des Lebensunterhaltes höher, in 61 Regionen aber niedriger. Zudem weite sich seit 2016 die Lücke zwischen dem Existenzminimum und dem mittleren Einkommen. Das vom Sozialstaat garantierte Existenzminimum sei in Wirklichkeit nicht an das Wachstum der Löhne im Land gebunden. Um dies zu ändern, wird das Existenzminimum künftig auf Basis des mittleren Einkommens bestimmt und für die kommenden fünf Jahre auf die eingangs erwähnten 44,2 Prozent festgelegt.

Birger Schütz

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