Verfall, Abriss, oder… Was passiert mit Wyborgs historischer Altstadt?

Kulturerbe hin oder her – die finnische Altstadt im russischen Wyborg soll mal wieder weg. Aber wer hat dieses Mal das letzte Wort?

Wyborg von oben - und vom Zerfall bedroht /varlamov.ru

Wyborg von oben – und vom Zerfall bedroht /varlamov.ru

Bei einem Spaziergang durch  die Altstadt der nordrussischen Kleinstadt Wyborg, gelegen an der finnischen Grenze, fühlt man sich wie in einem Freilichtmuseum. Aber, Kulturerbe hin oder her, die Altstadt soll weichen, wenn es nach dem Gouverneur des Leningrader Gebietes, Alexander Drosdenko, geht.

Bis 1940 war Wyborg, damals Viipuri, die zweitgrößte Stadt Finnlands. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie von der Sowjetunion annektiert, umbenannt und fast alle Finnen vertrieben. Seit 2010 genießt Wyborg einen Sonderstatus als letzte historische Siedlung im Gebiet Leningrad. Und zieht Touristen von nah und fern an, knapp 900.000 allein 2016 – Zehnjahresrekord. Trotzdem überließen die russischen Behörden die Bausubstanz der Altstadt seit Jahren sich selbst und dem Meeresklima.

Von den Abrissplänen betroffen sind nun sieben Gebäude aus dem 18. und 19. Jahrhundert, der sogenannten „Finnischen Altstadt“. An ihrer Stelle sollen „neue Gebäude entstehen, die den heutigen Anforderungen entsprechen“, erklärte Drosdenko.

Für den russischen Blogger Ilja Warlamow ist der Zerfall Wyborgs ein Musterbeispiel für den Umgang russischer Behörden mit Kulturerbe: An Stelle von Altstädten werden Kaufhäuser oder im besten Fall Wohnviertel errichtet. „Ich denke nicht, dass Wyborg noch zu retten ist. Wie Kasan, Ufa, Samara und viele andere Städte. Es gibt dafür weder Geld noch den Wunsch noch das gesellschaftliche Verlangen“, schreibt Warlamow. Dann lud Drosdenko den Blogger zu einem Spaziergang in Wyborg ein. „Was kann man sagen? Der Gouverneur hat beste Absichten. Er will die Ruinen abreißen und an ihrer Stelle anhand von Abbildungen und Fotografien der 30er Jahre die Gebäudefassaden wieder aufbauen“, schrieb im Anschluss Warlamow.

Aber die Abrisspläne haben auch Gegner: Über 2600 Bürger unterzeichneten eine Online-Petition. Denn alte Erinnerungen wurden wachgerufen. 2013 hatte das Kulturkomitee der Stadt die baufällige Altstadt wegen herabfallender Ziegelsteine schon einmal abreißen wollen. Daraufhin wurde Wyborg in ein föderales Sanierungsprogramm aufgenommen, Millionen sollten investiert werden. Seitdem wurde aber nur die Verklärungskathedrale saniert. Und die Stadtbibliothek, die Anfang des 20. Jahrhunderts von dem finnischen Architekten Alvar Aalto errichtet worden war. Aber sie rettete auch nur eine konkrete Bitte der finnischen Regierung.

„Die Altstadt hat seitdem keine einzige Kopeke gesehen“, sagt der Journalist Andrej Kolomojskij. Er lebt seit über 50 Jahren in der Stadt, verfolgt den Zerfall und bleibt skeptisch. Sein Tipp: ein Besuch, solange es Wyborg noch gibt.

Christopher Braemer

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