Russlands Rothenburg ob der Tauber: 1000 Jahre Susdal

Wer weiß, ob es Moskau ohne Susdal überhaupt gegeben hätte. Jedenfalls war die Kleinstadt bei Wladimir 123 Jahre früher da und feiert dieses Jahr ihr 1000-jähriges Bestehen. Ausländer werden nur wenige mitfeiern, Moskauer dafür umso mehr.

Kirchtürme und ländliche Bebauung prägen das Stadtbild von Susdal. Die Eliaskirche auf dem Iwanhügel (Mitte) ist ein Blickfang. (Foto: Tino Künzel)

Städtepartnerschaft seit 1988

Rothenburg ob der Tauber gilt vielen als schönste deutsche Kleinstadt. Dasselbe ließe sich in Russland von Susdal sagen. Kein Wunder, dass sich die beiden Orte von ganz ähnlicher „Kragenweite“  – der eine mit etwas mehr, der andere mit etwas weniger als 10.000 Einwohnern – gesucht und gefunden haben. 1988, noch zu Sowjetzeiten, wurde eine Städtepartnerschaft besiegelt. Zu deren 20. Jahrestag nahm eine Delegation der russischen Seite ein Geschenk der deutschen aus Bayern mit nach Hause: ein Straßenschild, das schwarz auf gelb den Weg nach Rothenburg weist. Aufgestellt ist es seitdem an der Lenin­straße im Zentrum von Susdal, vis-à-vis der Stadtverwaltung – eine veritable Sehenswürdigkeit.

Hier geht’s lang: deutscher Wegweiser mitten in Susdal (Foto: Tino Künzel)

Die Verbindung war lange Jahre geradezu vorbildlich, mit regelmäßigem Schüleraustausch, Spendenaktionen und privaten Begegnungen. Viele Freundschaften sind daraus hervorgegangen. Noch heute ist auf der Webseite des Rothenburger Stadtmagazins „Rotour“ ein Artikel von 2020 unter der Überschrift „Gelebte Partnerschaft“ zu lesen, der mit den Worten endet: „Fast überall in Rothenburg hört man daher: ,Susdal? Da war ich auch schon mal.‘“

Erste Erwähnung in der Nestorchronik

Doch die Distanz von 2634 Kilometern ist seit Februar 2022 gefühlt größer geworden und wie auch im Fall anderer deutsch-russischer Städtepartnerschaften nichts mehr wie früher. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Susdal in diesem Jahr Gäste aus Rothenburg ob er Tauber erwartet – oder überhaupt eine nennenswerte Zahl an Ausländern. Dabei hofft man auf so viele Besucher wie noch nie. Denn die Stadt feiert ihr 1000-jähriges Bestehen.

In der Nestorchronik wird Susdal erstmals 1024 erwähnt. 220 Straßenkilometer von Moskau und 30 von Wladimir entfernt, war der Ort unter Fürst Juri Dolgoruki im 12. Jahrhundert sogar drei Jahrzehnte Hauptstadt des Fürstentums Rostow-Susdal und damit der nordöstlichen Rus. Erst zu jener Zeit verhalf Dolgoruki auch Moskau 1147 zu dessen erster Erwähnung.

Kleinste Stadt des „Goldenen Rings“

Doch als Susdal im Zeitalter der Eisenbahn keinen eigenen Anschluss bekam, verschwand die Stadt in der mentalen Versenkung. Wachgeküsst wurde sie erst in den 1960er Jahren von der sowjetischen Fremdenverkehrsindustrie. Der kleinste Ort des sogenannten „Goldenen Rings“ macht altrussische Geschichte quasi begehbar. Wo Rothenburg mit einem mittel­alterlichen Stadtkern aufwartet, hat Susdal fünf Klöster, um die 50 Kirchen und seine von Wiesen und Holzhäusern gesäumten Ufer der Kamenka zu bieten.

Im Vorfeld des Jubiläumsjahrs wurden nun nach offiziellen Angaben 6,7 Milliarden Rubel (ca. 70 Millionen Euro) aus dem Staats- und Regionalhaushalt in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt. Noch einmal 50 Millionen Rubel (520.000 Euro) flossen in die Vorbereitung der Silvester- und Weihnachtsfeierlichkeiten, denn Susdal trug vom 24. Dezember bis 7. Januar den Titel der amtlichen russischen „Neujahrshauptstadt“.

Gefeiert wurde mit neu eingeführten Parkgebühren, Eislaufbahn, Lichtshow und Weihnachtsbaum „à la Moskau“. Letztlich zählte die Regionalregierung in Wladimir 150.000 Besucher und damit etwa halb so viele, wie erwartet worden waren. Zurückgeführt wurde das vor allem auf extreme Fröste mit Tages­temperaturen bis minus 30 Grad. 70 Prozent der Gäste seien Moskauer gewesen, hieß es.

Veranstaltungen sind das gesamte Jahr über geplant. Nächstes Groß­ereignis ist die Masleniza vom 11. bis 17. März.

Tino Künzel

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