Hartmut Koschyk: „Man muss Anwalt der Menschen sein“

Hartmut Koschyk ist seit 2014 Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Am 31. Oktober legt er sein Amt nieder. Eine Bilanz.

Hartmut Koschyk bei der Wiedereröffnung des Deutsch-Russischen Hauses in Kaliningrad. /Foto: IVDK.

Sie waren bisher in der deutschen Regierung für Minderheiten und Aussiedler zuständig. Was legen Sie Ihrem Nachfolger ans Herz?

Man ist zwar der Beauftragte der Bundesregierung, aber man muss das Amt mit Empathie ausfüllen. Für mich war es immer wichtig, Dinge zu verbessern. Das geht nur mit Leidenschaft und einem inneren Bemühen. Das würde ich auch der Persönlichkeit, die mir nachfolgt raten: nicht Anwalt der Regierung und der Bürokratie, sondern Anwalt der Menschen zu sein. Außerdem war es für mich wichtig, nicht nur offizielle Meinungen an Aussiedler nationaler Minderheiten in Deutschland und deutsche Minderheiten in Europa und den GUS-Staaten weiterzugeben, sondern Fortschritte zu erreichen. Das hat oftmals zu Konflikten innerhalb von Regierungsstellen und mit der Verwaltung geführt.

Haben die bilateralen Krisen zwischen dem Westen und Russland Ihre Arbeit beeinträchtigt? 

Natürlich. In der Russischen Föderation gibt es die größte deutsche Minderheit. Deshalb war es für mich wichtig, einen verlässlichen Partner auf russischer Seite zu haben. In Igor Barinow, dem Leiter der russischen Föderalen Agentur für Nationalitätenangelegenheiten, habe ich ihn gefunden. Bei meinem ersten Besuch in Moskau habe ich beim damaligen Sprachkongress der Deutschen in der Russischen Föderation gesagt, dass die Russlanddeutschen nicht unter den nicht guten deutsch-russischen Beziehungen leiden dürfen. Deshalb haben Igor Barinow und ich uns von Anfang an bemüht, den Dialog in Gang zu bringen.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Das zeigte sich bei den deutsch-russischen Regierungskommissionssitzungen 2016 in Omsk und 2017 in Bayreuth. Wir haben neue Wege beschritten, indem wir in Omsk ein neues Deutsch-Russisches Haus eröffnet haben. Neben Kultur und Sprache wurde es um den Bereich Wirtschaft erweitert. Auch eine regionale Zusammenarbeit zwischen dem Gebiet Omsk und der Region Oberfranken wurde eingeleitet. Das gleiche schwebt mir jetzt für Kaliningrad, ehemals Königsberg, vor. Von der Wiedereröffnung des Deutsch-Russischen Hauses sollen nicht nur Impulse für die Region, sondern auch Impulse für die deutsch-russische Beziehung ausgehen.

Ist die wirtschaftliche Ausrichtung eine Möglichkeit, politischen Querelen aus dem Weg zu gehen?

Ich habe mich bemüht, neben Sprache, Kultur und Identität noch zwei weitere Themen ins Spiel zu bringen. Das erste ist Wirtschaft. Ich glaube, dass Menschen, die einer Minderheit angehören oder ihre Heimat verlassen und an einem anderen Ort neu angefangen haben, immer auch aus eigener Kraft versuchen, ihr Schicksal zu meistern. Deshalb gibt es unter ihnen viele Selbständige. Diese wirtschaftlichen Potenziale in Deutschland, aber auch dort, wo die deutschen Minderheiten heute leben, müssen wir viel stärker nutzen und vernetzen!

Und das zweite Thema?

Weil der Mensch nicht von Brot allein lebt: Daher habe ich mich bemüht, auch das Thema Glaube stärker sichtbar zu machen. Denn Aussiedler und Vertriebene in Deutschland pflegen ihre religiösen Traditionen, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Gerade die Deutschen in Russland sind sehr ihrem christlichen Glauben, sei es Evangelisch-Lutherisch oder Römisch-Katholisch, verbunden. Daher habe ich auch eng mit Erzbischof Dietrich Brauer zusammengearbeitet.

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Sie haben in einem Interview gesagt, dass Minderheitenpolitik präventive Friedenspolitik sei.

Gerade die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion sind heute wieder Brückenbauer. Als wir die letzte deutsch-russische Regierungskommission in Bayreuth hatten, hat die Vorsitzende der Jugendorganisation der Deutschen in Russland darüber gesprochen, dass es bis heute einen lebendigen Austausch zwischen der Jugendorganisation der Deutschen in der Russischen Föderation und der Jugendorganisation der Deutschen in der Ukraine gibt. Selbst der Russland-Ukraine-Konflikt hat diese engen Bande der Deutschen in beiden Ländern nicht getrennt, und in beiden Ländern wirken sie für Dialog und Abbau von Spannungen. Das heißt, diese besondere Verantwortung, zu Frieden, Dialog und Verständigung zu mahnen, ist eine Aufgabe, die deutsche Minderheiten in ganz besonderem Maße erfüllen.

Sie haben die Gründung des Nationalkreises Asowo vor 25 Jahren miterlebt. Was hat sich in dieser Zeit getan?

Ich habe von Anfang an ab 1990 im Bundestag die Politik für deutsche Minderheiten eng begleitet. Gerade im Falle der ehemaligen Sowjetunion stelle ich fest, dass sich die Deutschen in der Russischen Föderation sehr stabilisiert haben. Sie haben eine funktionierende Selbstverwaltung und leisten eine wunderbare Kultur- und Spracharbeit. Es gibt heute wieder russlanddeutsche Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und eine hervorragende Zeitung. Es war vor 25 Jahren nicht absehbar, dass sich alles so positiv entwickeln wird. Deshalb glaube ich, dass die Deutschen in der Russischen Föderation eine wichtige Wegstrecke zurückgelegt haben. Sie können stolz darauf sein, wie sie sich heute präsentieren.

Wie wird es weitergehen?

Stillstand würde Rückschritt bedeuten und deshalb müssen wir in der Spracharbeit weiter machen. Rumänien und Ungarn sind hier Vorbilder. Dort haben wir überall im Land einen bilingual geprägten Bildungsweg, der dann zum Studium in Deutschland berechtigt. Das brauchen wir auch in der Russischen Föderation. Das wird die nächste Etappe sein, die wir einleiten wollen.

Haben Sie also am Ende Ihre Mission erfüllt?

Ich glaube, dass ich gemeinsam mit vielen politischen Verantwortlichen dafür gesorgt habe, dass sich die deutschen Minderheiten weiterhin stabilisiert haben und zukunftsfähiger geworden sind. Und aus dem Ehrenamt heraus, vor allem in der Stiftung „Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland“, die ich gegründet habe und deren Stiftungsratsvorsitzender ich bis heute bin, werde ich den deutschen Minderheiten immer eng verbunden bleiben.

Das Gespräch führte Katharina Lindt.

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