Von 100 auf 0: Russendiscounter vor dem Rückzug

Vor drei Jahren sollten es noch 100 Filialen werden. Doch schon länger sah es für den russischen Discounter Mere auf dem deutschen Markt nicht gut aus. Hat die „Sonderoperation“ in der Ukraine dem Tiefstpreis-Markt nun noch den Rest gegeben?

Mere
Graue Wolken über der Leipziger Mere-Filiale (Foto: Emil Herrmann)

Das Aufsehen war groß,­ als das sibirische Unternehmen Torg­servis 2019 ankündigte, die deutsche Supermarkt-Landschaft mit ihrer Diskounterkette Mere unsicher zu machen. Unter dem Motto „Tiefstpreise jeden Tag“ wollte man damals Lidl und Co. das Leben schwer machen. Bundesweit sollten 100 Filialen eröffnet werden. Deutsche Discounter boten immer mehr höherpreisige Waren wie Bio- und Markenprodukte an. Dadurch, so vermuteten damals Experten, würde sich eine Lücke im Tiefpreissegment auftun, die von Mere gefüllt werden könnte.

Doch schon von Anfang an betrachtete man die Pläne des „Russen-Aldis“ auch mit Skepsis. Laut einem „Spiegel“-Artikel von 2019 waren selbst die 100 geplanten Supermärkte zu wenig, um lukrative Verträge mit Zulieferern abzuschließen. Außerdem betrete man ein konsolidiertes Territorium, auf dem sich Aldi, Penny, Netto und Lidl ohnehin schon harte Preisschlachten liefern würden.

Schlangen und Schnäppchenjäger

Entgegen aller Hiobsbotschaften sah die Anfangszeit der ersten deutschen Mere-Niederlassung in Leipzig zunächst nicht schlecht aus. Vor dem Laden im Außenbezirk Plaußig-Portitz bildeten sich lange Schlangen und sogar aus 70 Kilometer Entfernung kamen Schnäppchenjäger angereist. Ein Traumstart könnte man meinen. Doch schon in der ersten Woche gab es Lieferprobleme, wie die MDZ damals berichtete. Auch sonst kam die anfängliche Begeisterung relativ schnell zum Erliegen. Aus den geplanten 100 Filialen wurden bis Anfang 2022 gerade einmal sechs.

Anfang April sieht es im Laden genauso düster aus, wie das Gewitter, das gerade aufzieht. Laut Internet sollte eigentlich offen sein. An der Tür zwischen dem Grau klebt ein gelber Zettel, der über eingeschränkte Öffnungszeiten informiert. Unter normalerweise grell leuchtenden Neonröhren stehen Paletten, auf denen die Waren, ohne in Szene gesetzt zu sein, in aufgerissenen Pappkartons liegen. Die einzigen „Regale“, die es außer den zwingend notwendigen Kühlregalen im Laden gibt, sind nur bloße Längs- und Querstangen ohne Böden, auf denen Paletten lagern. Auch ansonsten merkt man, dass an jedem Ende gespart wird. Die Kassennummern sind einfach auf DIN-A4-Blätter gedruckt, welche an einer Stange über den Bändern kleben.

Der Minimalismus spiegelt sich ebenso im Angebot wider. Das Sortiment ist so klein, dass der Supermarkt sich für einen ausgewogenen Wocheneinkauf kaum eignet. Frisches Obst und Gemüse fehlen. Genauso sieht es mit Eiern, Mehl oder Salz aus. Gewürzgurken oder Wischmop-Aufsätze hingegen gibt es en masse. Eher ein Laden für eine Schnäppchenexkursion. Als Stammsupermarkt hingegen dürfte sich Mere wohl nur bei wenigen durchgesetzt haben.

Konzentration auf „freundliche“ Länder

Trotz des angeschlagenen Geschäfts expandierte der Discounter jedoch in anderen Ländern munter weiter. Bis zu Beginn der russischen „Sonderoperation“ in der Ukraine. Dieser Moment könnte für den Billigmarkt tatsächlich eine Zeitenwende dargestellt haben. Mit dem krachenden Effekt der Sanktionen auf nahezu jegliche wirtschaftliche Verbindung zwischen Russland und Europa dürfte nun auch Mere das Geschäft deutlich schwerer fallen.

Auf Nachfrage beim Unternehmen kommt nur die Antwort, man wäre auf „die hohe Anzahl der Medienanfragen nicht vorbereitet“. Wie dem auch sei, die Anzeichen für ein baldiges Ende der Kette in Europa mehren sich. Der britische „Mirror“ berichtet von Ladenschließungen. In Frankreich erhielt das Unternehmen keine Genehmigung für die erste Ladenöffnung. Und auf Google Maps heißt es für die Filialen in Halle und Schönebeck in Sachsen-Anhalt nur „dauerhaft geschlossen“.

Doch anscheinend haben Hauptinhaberin Valentina Schneider und ihre Söhne Andrej und Sergej schon andere Pläne. Während man sich aus „unfreundlichen“ Ländern zurückzuziehen scheint, sollen laut dem Online-Nachrichtenportal „Serbian Monitor“ bis Ende 2023 zusätzliche 22 Märkte im Balkanstaat eröffnet werden.

Emil Herrmann

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