Tu-214: Hoffnungsträger aus der Mottenkiste

Schon ausgemustert, aber nun auf einmal wieder gebraucht: Als Airbus- und Boeing-Ersatz wird in Russland die Tu-214 reaktiviert. Kann das Flugzeug die Erwartungen im zweiten Anlauf erfüllen?

Vom alten Eisen zum Retter der Nation: eine Tu-204 von Red Wings im Jahr 2014. Nun erlebt der Flugzeugtyp ein Comeback. (Foto: Tino Künzel)

Es ist kein sonderlich gutes Zeichen für einen Flugzeugtyp, wenn er über die Jahre von Fluggesellschaften betrieben wurde, die heute so gut wie alle nicht mehr existieren. Dann liegt die Vermutung nahe, dass auch die Zeit der Maschine selbst abgelaufen ist. Die Tupolew Tu-204/214 wurde noch zu Sowjetzeiten als Nachfolgerin des Erfolgsmodells Tu-154 ent­wickelt. Sie hatte das Pech, erst in den postsowjetischen Jahren zur Serien­reife zu gelangen, als der Markt mit Westimporten überschwemmt wurde und die Airlines unter ohnehin schwierigen Verhältnissen lieber auf Nummer sicher gingen, anstatt sich ein neues russisches Flugzeug anzuschaffen und dessen womögliche Kinderkrankheiten auszubaden.

Auch die Interflug wollte den Jet

So blieben die Absatzzahlen bescheiden. Dabei hatte das sowjetische Ministerium für Zivile Luftfahrt ursprünglich 350 Stück der Tu-204 bestellt, das war 1985. Sogar die DDR-Interflug machte sich damals Hoffnungen auf den zwei­strahligen Mittelstreckenflieger mit 180 bis 210 Plätzen, der in etwa dem Airbus A321 und der Boeing 757 entspricht. Entsprechende Plakate sind heute im Verkehrsmuseum Dresden zu besichtigen.

Eine Tu-214 der Transaero. Für die einst zweitgrößte Fluggesellschaft Russlands kam 2015 das Aus. (Foto: Tino Künzel)

Bis zum Jahr 2000 sollten sogar 530 Exemplare gebaut werden. Doch unter den neuen Konkurrenzbedingungen und vor dem Hintergrund der postsowjetischen Wirtschaftskrise sind es bis heute nicht einmal 100 geworden. Zum Vergleich: Der Vorgänger Tu-154 war mit über 1000 ausgelieferten Flugzeugen ein Bestseller gewesen.

Linienverkehr nur noch in Nordkorea

Die ersten Linienflüge mit der Tu-204 absolvierte 1996 die Fluggesellschaft Wnukowskije Awialinii. Als Nächstes stellten Kawminwodyawia, Permskije Awialinii, Krasair und Transaero Maschinen dieses in Uljanowsk gebauten Typs in Dienst. Die Modifikation Tu-214 aus dem Flugzeugwerk von Kasan wurde im Jahr 2000 zugelassen und flog zuerst für Dalawia aus Chabarowsk, sogar auf internationalen Strecken nach Japan, Südkorea, China und Singapur. Zu den weiteren Betreibern gehörten Krasair und Transaero. Alle genannten Fluggesellschaften mussten später den Betrieb einstellen und sind vom Markt verschwunden.

Der erfolgreiche Vorgänger, die Tu-154 (Foto: Tino Künzel)

Die Produktion der Tu-204 wurde schon vor Jahren eingestellt, die Flugzeugwerft in Uljanowsk ist heute auf den „Dickwanst“ Il-76 spezialisiert. In Kasan wurden zuletzt ein bis zwei Tu-214 pro Jahr gefertigt, bestimmt für Regierung, Behörden und die Russische Post. Im Linienverkehr ist das Flugzeug heute nur noch in Nordkorea für Air Koryo unterwegs. In Russland haben sich sämtliche kommerziellen Nutzer davon getrennt, als letztes Red Wings im Jahr 2018.

Kaum westliche Bauteile

Der Tu-204/214 werden in der Branche gute Flugeigenschaften bescheinigt. Viele halten das Modell aber für technologisch veraltet. So wurde es noch für eine dreiköpfige Cockpit-Besatzung konzipiert. Außerdem schlucken die russischen PS-90A-Triebwerke etwa zehn Prozent mehr Treibstoff als westliche Pendants und müssen in kürzeren Abständen gewartet werden.

Doch nun entpuppt sich plötzlich als Trumpf, was immer als Nachteil galt. Dass die Tupolew nicht gerade der modernste Vertreter seiner Zukunft ist, bedeutet nämlich auch: In ihr ist ein Minimum westlicher Komponenten verbaut. Das macht sie in Zeiten von Sanktionen wieder interessant. Denn seit dem Frühjahr dürfen weder Flugzeuge noch Ersatzteile aus dem Westen nach Russland geliefert und auch keine Wartungsleistungen mehr ausgeführt werden. Deshalb haben die russischen Fluggesellschaften damit begonnen, ihre Flotten auf breiter Front umzurüsten und auf einheimische Technik umzusteigen. Der Prozess ist auch politisch gewollt. Sergej Tschemesow, der Chef der Staatsholding Rostec, die unter ihrem Dach alle russischen Flugzeughersteller vereint, pflegt zu sagen, Airbus und Boeing hätten den hiesigen Markt „für immer“ verlassen. Das seien „Marken, die wir schon vergessen haben“.

Aeroflot hat 40 Tu-214 bestellt

Ob man das bei Aeroflot auch so sagen würde? Die Flotte der Premium-Airlinie zählt aktuell über 180 Flugzeuge, davon sind gerade einmal fünf aus russischer Produktion. Doch das soll sich schon bald ändern. Auf dem Östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok wurde im September bekannt, dass Aerflot 339 heimische Flieger geordert hat. Den Löwenanteil daran stellt mit der MS-21 das künftige Flaggschiff der russischen Luftfahrt. Der Jet ist für 150 bis 230 Passagiere ausgelegt. Außerdem wird der Bestand am kleinen Suchoi Superjet SSJ-100 für 87 bis 108 Passagiere kräftig aufgestockt. Aber auch von einer runderneuerten Version der Tu-214 hat der Nationalcarrier 40 Stück bestellt, die ersten davon soll er bereits 2024 erhalten.

Insgesamt sollen von der Tu-214 bis 2030 in Kasan 70 Stück gebaut werden. Zunächst soll die Kapazität bei zehn Stück pro Jahr liegen, später bei 20 – mehr als je zuvor. Verkehrsminister Witali Saweljew empfiehlt russischen Fluggesellschaften den Typ bereits als „Basismodell“. Bereits im Frühjahr des kommenden Jahres soll ein erstes aufgemöbeltes Flugzeug aus Altbeständen an Red Wings ausgeliefert werden.

Tino Künzel

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