Taschengeld mit Risiko

Eigentlich sollen sie Privatpersonen und Kleinunternehmen in finanzieller Not helfen, selbst wenn die Bank „Nein“ sagt: Sofortkredite. Diese entwickelten sich jedoch im Laufe der Jahre zu einem ernstzunehmenden Problem, führen mit ihren hohen Zinssätzen fast zwangsläufig zur Komplettverschuldung. So soll die Schuldenfalle entschärft werden.

An fast jeder U-Bahn-Station wird für die Sofortkredite geworben / Foto: Christopher Braemer.

15 Minuten, höchstens eine halbe Stunde. So lange dauert die Aufnahme eines Sofort- oder Kurzzeitkredites. Einzig der Ausweis ist dazu erforderlich. Kein Schlangestehen, keine unangenehmen Fragen. Einen Haken gibt es allerdings: bis zu zwei Prozent Zinsen. Pro Tag, wohlgemerkt. Das entspräche bis zu 732 Prozent jährlich. In der Stadt Omutninsk, Region Kirow, soll nun sogar ein Kredit zu 2379 Prozent Zinsen vergeben worden sein. Dies geht aus einer Mitteilung des hiesigen Regionalgerichts hervor, wie Ria Nowosti meldet. Sieben Tage bis vier Wochen hat der Kreditnehmer Zeit, das Geld zurückzuzahlen. Trotz des hohen finanziellen Risikos gehen viele auf den Deal ein.

Die Schuldenfalle der Nation

Nach Angaben des Nationalen Büros für Kreditgeschichte haben derzeit etwa neun Millionen russische Staatsbürger einen Sofortkredit aufgenommen. Der Anteil wuchs allein im vierten Quartal 2016 um zehn Prozent. Die durchschnittlich geliehene Summe liegt bei 10 000 bis 18 000 Rubel, das sind umgerechnet etwa 162 bis 280 Euro. Nach Angaben der Zentralbank stieg die Summe der Anleihen 2016 um mehr als 20 Prozent. Seit Anfang des Jahres bieten gar Mobilfunkanbieter Kurzzeitkredite zu zwei Prozent Tageszins an. Ihre Aufnahme ist auch online über eine Vielzahl von Anbietern wie „E-Saim“ möglich.

Kleine Kredite, großes Risiko

Zur Zielgruppe der Sofortkredite gehören, nach einer offiziellen Stellungnahme der Zentralbank zu einer Anfrage des Föderationsrates, insbesondere Privatpersonen mit kleinem Einkommen, die bereits von der Bank abgelehnt wurden. Diesen fehle jedoch jegliches finanzielle Sachverständnis zur Risikobewertung. Der hohe Zinssatz führe „zwangsläufig zu einem hohen Risiko der Nichtbegleichung der Schulden“, erklärt Michail Mamut, Vorstand der Mikrokreditabteilung der Zentralbank. Die Statistik bestätigt seine Aussage. Nach einer Statistik der Ratingagentur Raex von 2015, konnte etwa die Hälfte der Anleihen nicht fristgerecht zurückgezahlt werden. Dabei wurden Finanzinstitutionen im Zeitraum von Juli 2014 bis Juli 2015 befragt.

„Einerseits verringern die Kredite die Armut geringfügig. Durch sie erhalten auch diejenigen Unterstützung die von der Bank abgelehnt wurden“, so Maria Semjonowa, Professorin am Institut für Finanzen der Higher School of Economics. „Andererseits helfen die Kredite nur der kurzfristigen Schuldendentilgung. Sie sind aber keine Anreize für langfristige Initiativen zur Wohlstandsbildung“, gibt Semjonowa zu bedenken.

Zentralbank bereinigt Markt

Zuletzt sorgte eine neue Verordnung der Zentralbank für Aufsehen. Dieser zufolge können künftig nicht mehr als zwölf Sofortkredite pro Kopf aufgenommen werden. Zudem dürfe die geliehene Summe das Jahresgehalt nicht überschreiten. Blieb der Markt lange unreguliert, sagte die Zentralbank Ende des Jahres 2013 mit dem Gesetz „Über die Nutzung von Mikrokrediten (Anleihen)“, unseriösen Anbietern den Kampf an. Der Beschluss zielte vor allem auf die Höhe der Zinssätze. Infolgedessen wurden seit 2014 insgesamt fast 5 000 „schwarze“ Anbieter vom Markt ausgeschlossen, die sich nicht an die Vorgaben der Zentralbank hielten. Zu Beginn des Jahres waren es offiziell noch knapp 2 700 Geldinstitute. Nun bat sogar Patriarch Kirill vor der Staatsduma um ein Komplettverbot der Schuldenfalle, da ausschließlich „Alkoholiker oder Drogenabhängige in Not“ die Kredite in Anspruch nehmen würden.

Ein Komplettverbot sei laut der Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina nicht weitsichtig. Dieses führe nur zu einem Ausweichen auf illegale Kredite. Stattdessen müsste der Markt schrittweise reguliert werden. Semjonowa von der Higher School of Economics bewertet die Zentralbank-Politik positiv. „Die Idee, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, funktioniert eben nicht, wenn die Kredite von schlechter Qualität sind. In diesem Fall verlieren sowohl Investoren, als auch Kreditnehmer Geld. Das führt zum Gegenteil von Wohlstand: Armut“, erklärt Semjonowa. Gleichzeitig steige die Nachfrage. „Durch die Risikokontrolle der Zentralbank wird der Kreditmarkt positiv stimuliert“, ergänzt die Expertin.

Christopher Braemer

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