Nordkaukasus: Fass ohne Boden

Seit vielen Jahren versucht die russische Regierung den Nordkaukasus wirtschaftlich aufzupäppeln. Bisher ohne nachhaltigen Erfolg. Jetzt sollen es Tourismusprojekte richten. Doch die werden viel teurer als geplant.

Der Nordkaukasus hat eine reiche Kulturgeschichte, doch Gegenwart ist für die meisten Einwohner der Bergregion ein Überlebenskampf. (Said Zarnejew/ RIA Novosti)

Europas höchste Berge, atemberaubende Landschaften, jahrhundertealte Kulturen und Thermalbäder. Der Kaukasus hat viel zu bieten und ist spätestens seit der Eroberung im 19. Jahrhundert ein Sehnsuchtsort vieler Russen. Allerdings einer, der mit vielen Problemen zu kämpfen hat. Konnte Moskau den Terrorismus in den vergangenen Jahren ziemlich erfolgreich zurückdrängen, scheitert die Regierung bis heute daran, das Lebensniveau zu verbessern.

Im Jahr 2010 gliederte die Zentralregierung in Moskau sieben Regionen (die Republiken Dages­tan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschai-Tscherkessien, Nordossetien-Alanien, Tschetschenien und das Gebiet Stawropol) aus dem Föderationskreis Südrussland aus und schuf den Föderationskreis Nordkaukasus, das mit Abstand kleinste Föderationssubjekt. Ein scheinbares Zeichen dafür, dass der Kreml die Belange der Bergregion sehr ernst nimmt.

Gut zehn Jahre später fällt die Bilanz nüchtern aus. Mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von etwas mehr als 25 000 Rubel (283 Euro) hatten laut der Statistikbehörde Rosstat die knapp zehn Millionen Einwohner im Jahr 2019 die geringsten Gehälter aller Föderationskreise. Mehr noch, vier Regionen gehörten gar zu den Armenhäusern Russlands. Auch die Arbeitslosigkeit lag (im März 2020) weit über dem Landesdurchschnitt.

Immer noch Russlands Armenhaus

In Inguschetien hatte jeder Vierte (26,3 Prozent) keine regelmäßige Beschäftigung. Wie dramatisch die Lage für viele Menschen ist, zeigte sich während der ersten Coronawelle. Weil ihnen wegen des Lockdowns auch die spärlichen Einkommensquellen wegbrachen, gingen hunderte Menschen aus purer Verzweiflung in Inguschetien auf die Straße. Auch finanzielle Hilfen aus Moskau linderten die Probleme nicht. Denn die Zahlungen überstiegen vielerorts die normalen Einkommen und führten zu höheren Preisen und zu einer Inflationsspirale.

Im Jahr 2010 sah die Welt noch anders aus. Nach der Einrichtung des Föderationskreises legte die Regierung zwei ambitionierte Projekte auf. Während die „Korporation zur Entwicklung des Nordkaukasus“ Investitionen in die Regionen holen sollte, sollten die „Ferienorte des Nordkaukasus“ den Tourismus ankurbeln. Zwei Jahre später ging man davon aus, dass bis 2020 fünf Ferienorte entstehen werden. Die sollten Weltniveau erreichen, täglich 179 000 Menschen aufnehmen können und über 300 000 Arbeitsplätze schaffen, berichtete der „Kommersant“ damals von den hochtrabenden Plänen.

Ein Plan mit vollmundigen Versprechen

Ende 2012 wurde schließlich ein Entwicklungsplan bis 2025 verabschiedet, der voller Versprechungen ist. Sogar ein eigenes Ministerium wurde 2014 eingerichtet. Dies wurde aber immer wieder für seine unzureichende Arbeit kritisiert. Im Januar 2021 zog Präsident Wladimir Putin schließlich einen Schlussstrich und löste das Ministerium auf. Seitdem liegt die Verantwortung für die Entwicklung der Bergregionen in den Händen des Ministeriums für wirtschaft­liche Entwicklung.

Vielleicht kam Putin damit einer Untersuchung des Rechnungshofs zuvor. Der hatte über die Jahre genau verfolgt, was im Nordkaukasus mit den Geldern aus Moskau geschieht und kam in diesem Frühjahr zum Schluss, dass es „den Institutionen für die Entwicklung des Nordkaukasus ungeachtet des Potenzials nicht gelungen ist, einen positiven Gesamteffekt auf die Produktivität der Region insgesamt und die geförderten Bereiche im Einzelnen auszuüben“. Mehr noch, ein innovatives Medizincluster wurde wegen Problemen ganz aus dem Entwicklungsprogramm gestrichen. Bis zur Einstellung hatte es bereits zwei Milliarden Rubel (22,6 Millionen Euro) verschlungen. Und in den Sonderwirtschaftszonen hatten sich am 1. Januar 2020 ganze 36 Unternehmen angesiedelt, die in neun Monaten gerade einmal Aufträge in Höhe von zwei Milliarden Rubel einfuhren. Als „irrelevant“ bezeichnet das Online-Medium „Lenta“ diese Summe und rechnet vor, dass dies lediglich neun Prozent des versprochenen Umfangs sind.

Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow (2.v.l.) erkundet das Ski-Resort Wedutschi. (veduchi-resort.ru)

Skipisten und viele Schulden

Für die Region bedeuten der Stillstand und die Geldverschwendung nichts Gutes. Denn statt Wohlstand wachsen vor allem die Schulden. Allein der Energieriese Gazprom wartet noch auf 99,2 Milliarden Rubel (1,1 Milliarden Euro). Das sind 6,7 Milliarden (75,8 Millionen Euro) mehr als im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Ganz Russland schuldet Gazprom 178,4 Milliarden Rubel (zwei Milliarden Euro).

Moskau gibt den Nordkaukasus noch nicht verloren. Im April wurde das Entwicklungsprogramm um fünf Jahre bis 2030 verlängert. In den kommenden neun Jahren erhält die Region 196 Milliarden Rubel (2,2 Milliarden Euro). Die Einwohner können nur hoffen, dass dieses Geld gut investiert wird.

Bei allen negativen Nachrichten gibt es zumindest einen kleinen Lichtblick. Zwei der fünf geplanten Touristenorte wurden tatsächlich verwirklicht. Seit dem Winter 2017/2108 können etwa Ski-Fans die Pisten im 80 Kilometer von Grosnyj entfernten Wedutschi runterrauschen. Auch der tschetschenische Machthaber RamsanKadyrow war bereits zu Gast und zeigte sich angetan vom Wintersportort. Für den Ausbau des Skitourismus versprach Vize-Premierminister Jurij Trutnjew weitere 25 Milliarden Rubel (283 Millionen Euro). Das sei allerdings nur der Anfang, zitiert ihn die Nachrichtenagentur TASS. Um die Resorts auf Weltniveau zu heben, brauche es hunderte Milliarden Rubel, so Trutnjew. In den ersten Planungen sollte Wedutschi lediglich 14 Milliarden Rubel (158 Millionen Euro) kosten.

Daniel Säwert

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