Konfekt für die Prüfung

Wer ein russisches Arbeitsvisum benötigt, kommt um eine Sprachprüfung nicht herum. Warum man auf dem Weg zu dem begehrten Abschluss mitunter einen ziemlich langen Atem braucht.

Vokabeln, Geschichte, Jura: Intensives Büffeln für den Russischtest. (Foto: Daniel Säwert)

„Konzentrieren und nicht nervös sein“, sagt Inna Anatoljewna und hält mir mit ausgestrecktem Arm ihr rosafarbenes Smartphone direkt vor die Nase. Dann drückt die resolute Mittfünfzigerin den Auslöser der Kamera. „Jetzt!“ Ich hole tief Luft, versuche das mit schillernden Glitzersteinchen beklebte Gerät fünf Zentimeter vor meinem Gesicht zu ignorieren – und lege los. „Ich, Birger Schütz, Bürger der Bundesrepublik Deutschland, bin heute bei Ihnen erschienen, um die Komplexe Prüfung für die russische Sprache abzulegen“, rattere ich in gestelztem Behördenrussisch das Satzungetüm herunter, das mir die Mitarbeiterin des Sprachtestzentrums am Moskauer Stadtrand kurz zuvor eingebläut hat. „Na bitte“, freut sich Inna Anatoljewna und beendet die Aufnahme. „Das brauchen wir für unser Archiv.“

Der lange Weg zum Examen

Mehrere Monate habe ich auf den Termin hingefiebert. Denn die Prüfung ist Bedingung für ein Arbeitsvisum. Bestehe ich den Test, kann ich mich ein Jahr ununterbrochen in Russland aufhalten und arbeiten. Das lästige Ausreisen alle drei Monate würde endlich entfallen. Doch der Weg zu Inna Anatoljewna war lang. Angefangen hatte alles im Frühling des vergangenen Jahres. „Da gibt es noch diese Sprachprüfung“, unkten Mitarbeiter aus der Personalabteilung, nachdem ich bereits Uni-Zeugnisse, Gesundheitsbescheinigung und andere Papiere zusammengesammelt hatte. Genaueres über den mysteriösen Russischtest konnte mir allerdings niemand sagen. „So schwer wird das schon nicht sein“, wiegelten die Kollegen ab. Ob man sich denn gar nicht vorbereiten müsse, hakte ich mit deutscher Penetranz nach. Belustigtes Schulterzucken. „Das schaffst du schon!“ So sicher war ich mir da nicht. Immerhin klang „Komplexe Prüfung über Russische Sprache, Geschichte und Grundlage der Russischen Gesetzgebung“ – so die offizielle Bezeichnung – durchaus anspruchsvoll. Trotz Sprachstudium und längeren Aufenthalten im Land: Meine Kenntnisse zu russischem Recht oder der mittelalterlichen Historie zwischen Nowgorod und Moskau waren ziemlich überschaubar.

Zwischen Großfürst Wladimir und dem Migrationsdienst

Ob ich mit meinen Nachfragen durchdrang oder die Kollegen einfach nur genervt nachgaben: Anfang des Sommers erreichte mich schließlich eine E-Mail mit vier großen Pdf-Dateien voller Prüfungsfragen. Endlich! Ungeduldig druckte ich die 90 Seiten aus und ackerte mich durch den umfangreichen Fragenkatalog. Über welche Kompetenzen verfügt der föderale Migrationsdienst? In welchem Jahr brachte Großfürst Wladimir das Christentum nach Russland? Und was wird eigentlich noch mal am Tag der Volkseinheit gefeiert? So hießen die Fragen, mit denen ich mich nun an meinen Feierabenden herumschlug. Doch trotz allen Lerneifers wurde ich ein mulmiges Gefühl nicht los. Denn der Fragekatalog war bereits mehrere Jahre alt, Form und Ort der Prüfung unklar. Würde ich einen anspruchsvollen Aufsatz schreiben, Antworten ankreuzen oder doch mündlich Rede und Antwort stehen müssen? Und waren die Fragen überhaupt noch aktuell? Mit diesen Problemen im Kopf vergingen die Sommerferien. Und dann musste plötzlich alles ganz schnell gehen. Prüfungsanmeldung im Sprachzentrum einer Moskauer Universität, ein topaktueller Fragenkatalog und Inna Anatoljewna als Ansprechpartnerin: Innerhalb weniger Tage hatten die Kollegen das schier Unmögliche doch noch möglich gemacht. Das begehrte Papier schien endlich zum Greifen nah. Der einzige Haken: Zum Büffeln blieben nur drei Tage Zeit. „Das wird schon nicht so wichtig sein“, befand eine Mitarbeiterin. „Nimm lieber Konfekt für die Prüferin mit!“

„Ihre Handschrift, junger Mann!“

Und so sitze ich an einem grauen Septembervormittag zwischen vergilbten Zimmerpalmen, einem gerahmten Putin-Bild und der russischen Trikolore im Büro von Inna Anatoljewna. Das Konfekt habe ich zu Hause gelassen, doch die ausgebildete Sprachlehrerin ist mir trotzdem gewogen. „Sie sind doch ein Schlauer.“ Und so schlimm ist der Test dann auch wirklich nicht. Nach der Videoaufnahme muss ich einen Brief über meine Familie verfassen, ein Alltagsgespräch mit Inna Anatoljewna simulieren, einen vierseitigen Ankreuztest über russische Geschichte und Recht ausfüllen und anschließend bezahlen. „Ein einziger Fehler“, bescheinigt mir die Prüferin nach anderthalb Stunden. „Bestanden. Das konnte ja auch nicht anders sein!“ Ein Problem gebe es aber doch, sagt Inna Anatoljewna und schaut mich kritisch über den Brillenrand an. „Ihre Handschrift, junger Mann! An den Verbindungen zwischen den Buchstaben sollten Sie wirklich üben! Ich würde Ihnen diese Schreibhefte für Grundschüler empfehlen!“

Birger Schütz

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