Wirtschaftsgerichte besser als ihr Ruf

Russische Wirtschaftsgerichte arbeiten bei Geschäftsprozessen schneller und zuverlässiger, als man denkt. Dabei zählt für ausländische Investoren, was auf dem Papier steht. Wie es ausländischen Unternehmen vor dem russischen Gesetz ergeht und was Hauptstadt von Regionen unterscheidet.

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Russische Arbitrage-Gerichte sind keine Folterkeller. Hier in Tscheljabinsk / Foto: Wikipedia.

Korruption, Bürokratie und formales Herangehen – die Mythen rund um Russlands Rechtsstaat sind nicht nur vielseitig, sondern halten sich auch hartnäckig. Sie führen zu Skepsis bei Geldgebern, für die Russland Neuland ist. Dass die Realität zumindest bei Geschäftsfragen anders aussieht, beweist die Praxis der vor Ort ansässigen Anwaltskanzleien. „In den letzten Jahren wurden über 90 Prozent unserer Fälle mit Beteiligung ausländischer Unternehmen erfolgreich vor russischen Wirtschaftsgerichten verteidigt“, erklärt Falk Tischendorf, Leiter der Moskauer Repräsentanz der Kanzlei Beiten Burkhardt auf einer Pressekonferenz der AHK zum Geschäftsklima in Russland.

Investor statt Behörde

Die auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwältin Oxana Peters hat Rechtsfälle mit Beteiligung internationaler Unternehmen eingehend analysiert. Sie bestätigt das überraschende Ergebnis: Der Grund für die gescheiterte Klage lag dabei nur in den seltensten Fällen an der russischen Gerichtsbarkeit. Vielmehr betraf sie „die prozessführenden Parteien selbst“, so die Geschäftsführerin der Kanzlei Tilling Peters. Die meisten Streitfälle beträfen Konflikte über nicht gezahlte Schulden, Zinsen und Verluste, oft hervorgerufen durch Insolvenz des Geschäftspartners. „Es ist einfach, die Schuld bei den Behörden zu suchen. Wenn alle Unterlagen stimmen, gibt es sehr gute Erfolgschancen“,  erklärt die auf Prozessrecht spezialisierte Juristin. Auf Anfrage bestätigten dies auch die Kanzleien Beiten Burkhardt, Rödl & Partner sowie die Rechtsabteilung der AHK.

Dabei zählt in Russland ganz klar das geschriebene vor dem gesprochenen Wort. „Vor Wirtschaftsgerichten werden eher ungern Zeugen angehört, da diese den Prozess laut Meinung russischer Richter oft nur hinauszögern“, wie Peters erklärt. Die Wirtschaftsgerichte selbst würden nur in Ausnahmefällen Beweise sammeln. Stattdessen arbeiten sie mit dem vorgelegten Material. „Je fundierter und umfangreicher also ein Unternehmen oder Prozessanwalt Beweismaterial sammelt und es für den Gerichtsprozess frei von Formfehlern aufbereitet, desto besser sind seine Aussichten“, so die russische Anwältin mit über 20 Jahren Berufserfahrung in der Verteidigung ausländischer Investoren.

Die Regierung ist nicht nur an den Investoren interessiert. Sondern sie arbeitet damit auch – zusätzlich zu attraktiven wirtschaftlichen Geschäftsbedingungen wie den Sonderinvestitionsverträgen – an effektiver und professioneller Rechtsprechung. So sind die Wirtschaftsgerichte gesetzlich dazu verpflichtet, „ökonomische Streitfälle gründlich und zugleich und in kurzer Frist zu prüfen“, wie Peters weiter erläutert. Während die Fallbehandlung der ersten Instanz im Durchschnitt drei bis fünf Monate dauert, wächst sie mit der zweiten und dritten Distanz auf acht Monate bis maximal knapp über ein Jahr. Für die schriftliche Formulierung des Urteils sieht das Gesetz fünf Tage vor. „Damit arbeiteten russische Wirtschaftsgerichte teilweise in weit kürzeren Fristen als Gerichte anderer Länder“, so Peters. Unbestritten gebe es auch in Russland Einzelfälle von Korruption vor Gerichten, auch bei wirtschaftlichen Rechtsfällen. Es sei dem aber zu widersprechen, „dass russische Gerichte mehr vom politischen Willen und von administrativem Druck bestimmt werden als in Europa, den USA oder Großbritannien“, so Peters.

Unterschiede in den Regionen

Die Professionalität der Gerichte sowie die Schnelligkeit der Rechtsprechung unterschieden sich von Region zu Region. Im Großen und Ganzen verhandeln die Gerichte jedoch „objektiv, umfassend und unabhängig“, spricht Rechtsanwalt Roman Gromowoj von Rödl & Partner aus Erfahrung.

Das Wirtschaftsgericht der Hauptstadt gelte laut Gromowoj trotz starker Auslastung als Musterbeispiel gegenüber regionalen Gerichten. Denn diese können eine Klage auch mal „aufgrund eines formalen Formverstoßes gegen die Verfahrensordnung abweisen“, so Gromowoj. Erfahrung mit solchen Formverstößen machte die Kanzlei bei den Regionalgerichten des Gebiets Jaroslawl und der Stadt Pensa. Laut Viktor Spakow, dem Leiter der Rechtsabteilung des Informationszentrums der Deutschen Wirtschaft, kommt es durchaus vor, dass sich „regionale Gerichte aufgrund eines komplizierten Streitfalles mit Beteiligung eines ausländischen Unternehmens nicht zurechtfinden“. Seit Jahren vertritt auch Spakow die Interessen deutscher Unternehmen vor Gerichten im ganzen Land, von Kaliningrad bis nach Wladiwostok.

Ein positives Beispiel hingegen sei laut Gromowoj das regionale Wirtschaftsgericht Kaluga. So sollen die Gerichte zweier Instanzen einem westfälischen Unternehmen vorbildlich dabei geholfen haben, den Schuldbetrag von einem russischen Partner zu erhalten. In der Sonderwirtschaftszone mit reduzierten Steuern gibt es eine Vielzahl von Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung, wie Volkswagen. Auch die bei deutschen Investoren beliebte Region Samara bietet gemäß der Erfahrung der Kanzlei Rödl & Partner Rechtssicherheit. Der Klage eines Mannheimer Unternehmens über nichtgezahlte Forderungen einem russischen Klienten gegenüber wurde in kürzester Zeit zugesprochen.

Anders erging es der Klage eines österreichischen Unternehmens in Krasnojarsk, welche durch die ersten zwei Instanzen abgewiesen wurde. Vor dem bis August 2014 bestehendem höchsten föderalen Wirtschaftsgericht in der Hauptstadt sollte man schließlich doch Recht erhalten. Diese dritte Instanz könne jedoch, laut Gromowoj, nur bei „starken Verstößen in der einheitlichen Nutzung der materiellen und prozessualen Normen“ aktiv werden.

Christopher Braemer

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