Im falschen Film: Kinobranche hat wenig zu lachen

In der sowjetischen Filmkomödie „Gentlemen des Glücks” sagt eine der Hauptfiguren den Satz: „Wsjo, kina ne budet“, auf Deutsch „Das war‘s mit Kino“. Dieses berühmte Filmzitat hat in den russischen Medien gerade wieder Hochkonjunktur. Denn die Kinobranche macht schwere Zeiten durch.

Dieses Kino in der nordrussischen Großstadt Archangelsk steht schon seit Längerem leer. (Foto: Wikimedia Commons)

Bereits im Frühjahr haben die größten Filmstudios der Welt wie etwa Walt Disney, Sony Pictures oder Warner Bros. den Verleih ihrer Produktionen in Russland eingestellt. In den beiden bekannten Moskauer Einkaufszentren Crocus City Mall und Vegas wurden seitdem sieben der 22 Kinosäle geschlossen. Und das in einer Stadt, wo früher schon mal 12.000 Besucher an einem einzigen Abend in ein einziges Kino strömten, wenn dort ein neuer Kassenschlager Premiere hatte. In der Provinz sind die Folgen aber oft noch viel drastischer.

Einziges Kino der Stadt geschlossen

Partisansk ist eine Stadt im äußersten Osten Russlands, 150 Kilometer von Wladiwostok entfernt. Sie hat etwa 36.000 Einwohner, ist von Hügeln umgeben und war früher für ihre Kohleindustrie bekannt. Im März gab das einzige Kino von Partisansk seine Schließung bekannt. In den sozialen Netzwerken teilten Einwohner zu der Nachricht neben traurigen Smileys auch persönliche Geschichten. Jemand schrieb, er sei ohnehin schon lange nicht mehr dort gewesen und habe das Kino von Nachodka vorgezogen. Dabei sind es mit dem Auto 40 Minuten bis dorthin. Andere meinten in ihren Kommentaren, dass die Stadt auf diese Weise „völlig ausstirbt“ und dass es nun überhaupt nichts mehr zum Ausgehen gebe – „weder Kino noch Club“.

Auch Atschinsk (107.000 Einwohner), die drittgrößte Stadt der riesigen Region Krasnojarsk, hat nur ein Kino. Und dessen Zukunft ist ungewiss. Schon im vorigen Jahr hatte es große Mühe, seine Säle zu füllen. Wie lokale Medien berichteten, wurde das Kino mit einer Geldstrafe belegt, weil es sich geweigert hatte, dem einzigen Besucher, der zu einer Vorführung gekommen war, eine Karte zu verkaufen. Momentan ist es geschlossen, vorübergehend, wie es heißt. Aber auf Fragen zur Wiedereröffnung gibt es in der Vkontakte-Gruppe des Kinos keine Antwort.

Einnahmen um 70 Prozent gesunken

Zahlen, wie es um die Branche bestellt ist, werden in letzter Zeit vor allem von der Vereinigung der Kinobetreiber vorgelegt. Vor zwei Jahren hatte sie öffentlich um Unterstützung in der Pandemie gebeten. Leichter ist es seitdem nicht geworden. Ende Juli wies die Vereinigung darauf hin, dass die Bemühungen, die Zuschauer mit einem Alternativangebot zu Hollywood in die Kinos zu locken, wenig gebracht hätten. Sowjetische Klassiker, Wiederholungen russischer Erfolgsfilme, Aufführungen indischer und südkoreanischer Filme sowie von Produktionen, die ursprünglich für Streaming-Plattformen produziert wurden, generierten nur fünf Prozent der Ticketverkäufe. Im Vergleich zum Monatsdurchschnitt der Vorjahre seien die Einnahmen in den zurückliegenden vier Monaten um mehr als 70 Prozent zurückgegangen.

In seiner Antwort legte das Kulturministerium Mitte August eigene Zahlen vor. Demnach wurden in Russland seit dem März dieses Jahres 57 private Kinos geschlossen – vorerst oder dauerhaft. Von März bis Juni sanken die Einnahmen an den Kinokassen um 61,7 Prozent gegenüber dem Durchschnitt des Zeitraums von 2017 bis 2021 (2020 wurde nicht berücksichtigt). Zu eventuellen Hilfsmaßnahmen äußerte sich das Ministerium nicht. Am Ende folgte nur eine Liste mit russischen Filmen, die im Herbst in die Kinos kommen sollen.

Hoffen auf die Puschkin-Karte

Als Rettungsanker wird immer wieder die Puschkin-Karte ins Gespräch gebracht. Junge Menschen im Alter von 14 bis 22 Jahren können damit Kultureinrichtungen kostenlos besuchen, sofern die an dem Programm teilnehmen. Möglich ist das bis zu einem Gegenwert von 5000 Rubel im Jahr. Die Kosten trägt der Staat. Seit Februar berechtigt die Karte auch zum Eintritt in Kinos, wenn der jeweilige Film mit Unterstützung des Kulturministeriums und der Stiftung Kino produziert wurde. Seit Mai fallen alle russischen Filme unter die Regelung.

Der Haken an der Sache ist, dass die Karte auf dem Land nur wenig nachgefragt wird, weil es kaum etwas gibt, was damit bezahlt werden könnte. Wenn Jugendliche mit der Karte ins Kino gehen, dann eher in der nächsten Großstadt als an ihrem Heimatort.

Diskussion um Zwangslizenzen

Hollywood-Filme können in Russland ohne Lizenzen großer Filmkonzerne nicht gezeigt werden. Aber auch altbekannte Serien wie „Friends“ oder die Trilogie „Herr der Ringe“ sind in den letzten Wochen aus den Mediatheken der Online-Kinos verschwunden. Deshalb wird immer wieder über Parallelimporte oder eine Zwangslizenzierung von Inhalten (Filme, Computerspiele und Musik) gesprochen.

Gegenwärtig sieht das russische Recht nur eine Bestimmung über die Zwangslizenzierung eines Patents vor. Nach Artikel 1362 des russischen Zivilgesetzbuches kann ein Patent gerichtlich erwirkt werden, wenn der Rechtsinhaber es seit mindestens vier Jahren nicht mehr benutzt hat und dies zu einem Mangel an Angebot auf dem Markt führt. Im August wurde ein Gesetzentwurf in die Staatsduma eingebracht, der es ermöglichen würde, eine Lizenz für Inhalte von Rechte­inhabern aus „unfreundlichen Ländern“ auf dem Gerichtsweg zu erhalten. Der Entwurf enthält keine zeitlichen Vorgaben, wie sie im geltenden Patentrecht bestehen.

Sind Zwangslizenzen eine Op­tion, um Kinos und Streaming-Plattformen in Russland zu retten? Russische Online-Kinos sehen das nicht so. Bereits im Mai sprachen sich die großen Videodienste Ivi, Start, Okko, Amediateka und Tricolor Kino und TV gegen die Zwangslizenzierung aus und wiesen darauf hin, dass sie Risiken für die Unternehmen mit sich bringe. Sie bezeichneten ein solches Vorhaben als Legalisierung von Piraterie.

Maria Bolschakowa

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