Für die Familie nach Moskau

Im vergangenen Jahr haben Arbeitsmigranten weltweit rund 700 Milliarden Dollar in ihre Heimatländer überwiesen. Auch aus Russland fließen trotz gedämpften Wirtschaftswachstums immer mehr Rubel in Regionen wie Zentralasien. Ein anonymer, kirgisischer Wanderarbeiter erzählt, wie er seine Angehörigen mit seinem Gehalt unterstützt.

Ein gewohntes Bild von Moskaus Straßen: Zentralasiatische Wanderarbeiter. / Foto: kpcdn.net

Was machen Sie in Russland?

Ich bin im November 2018 nach Moskau gekommen und habe vor kurzem Arbeit in einer Banja gefunden. Dort gebe ich Massagen. Zuvor konnte ich lange Zeit keine Arbeit in diesem Bereich finden. Denn um den Beruf des Masseurs ausüben zu dürfen, braucht man in Russland eine medizinische Ausbildung. Über diese verfüge ich allerdings nicht. Deshalb habe ich fast vier Monate bei Burger King gearbeitet.

Warum arbeiten Sie im Ausland?

Ich habe in Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans, den Studiengang „Angewandte Mathematik und Management“ absolviert. Allerdings habe ich in diesem Berufsfeld keine Arbeit finden können. Es gibt in Kirgistan schlichtweg nicht ausreichend Werke und Fabriken, um genug Arbeitsplätze für die Bevölkerung zu gewährleisten. Und es war nicht wirklich profitabel, in meiner Fachrichtung unterzukommen, da ich kein professioneller IT-Spezialist bin. Ich habe versucht, in meinem Dorf Informatik-Lehrer zu werden. Aber das Gehalt war enttäuschend. Es reichte einfach nicht aus. Ich habe dann eine Ausbildung als Massagetherapeut gemacht und als Masseur in einer Banja gearbeitet. Das Gehalt war gering und ich habe keine Perspektive für die Zukunft gesehen. Deshalb habe ich weiter in der Türkei gelernt und als Masseur gearbeitet, Diplome und Zertifikate erhalten. Von dort aus bin ich dann im November letzten Jahres nach Moskau gegangen, da hier mehr als in der Türkei gezahlt wird.

Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?

Ich arbeite von 18 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Wir dürfen uns nur im Massageraum aufhalten. In die Banja zu gehen, ist nicht gestattet. Ich arbeite fünf Tage und zwei Tage ruhe ich mich aus. In der Nacht arbeite und am Tag schlafe ich. Ein Fixgehalt gibt es nicht, es hängt von der Anzahl der Kunden ab. Eine Massage kostet 1500 Rubel. Die Hälfte behalte ich, der Rest geht an meinen Arbeitgeber. Die Bezahlung erfolgt täglich.

Wie ist es um die Arbeitsbedingungen bestellt?

Ein Problem für Migranten in Moskau ist das Nichteinhalten des Arbeitsschutzes. Zum Beispiel bezahlte Urlaube. Wenn ich krank bin, erhalte ich kein Geld. Die entsprechenden Normen, die das Arbeitsgesetzbuch vorschreibt, werden bei Migranten einfach nicht eingehalten. Hier in Moskau ist das System wie folgt: Arbeitest du, wirst du bezahlt. Arbeitest du nicht, erhältst du kein Geld. Auch während der Tage, an denen ich mich ausruhe, wird kein Gehalt bezahlt. Ich hätte gerne ein Festgehalt, wenn man darüber nachdenkt, braucht man auch Geld für die täglichen Ausgaben.

Wie oft besuchen Sie Ihre Heimat und die Verwandten?

In der Heimat bin ich hauptsächlich einmal im Jahr. Und das ist die Zeit in den Sommermonaten, wenn man am Meer entspannen und die Verwandten wiedersehen kann, denn im Sommer fahren viele Kirgisen in den Urlaub. Ich bleibe dort maximal einen Monat – mehr geht nicht, da ich ja arbeiten muss. Der Arbeitgeber lässt mich auch nicht länger gehen.

Sie überweisen regelmäßig eine Geldsumme nach Hause. An wen?

Ich unterstütze meine Eltern, da sie bereits älter sind. Außerdem werden sie von meiner Schwester unterstützt, die in der Türkei arbeitet. Wir beide helfen unseren Eltern und natürlich uns selbst, damit sich unsere Träume – heiraten und unseren Kindern bessere Bedingungen bieten – erfüllen.

Wofür wird die Unterstützung von Ihrer Familie verwendet?

Mit der Summe, die ich überweise, können meine Eltern einen Monat lang leben. Sie können den Vertrag für die Ausbildung meiner Schwester bezahlen. Aber nicht von heute auf morgen, denn wir senden jeden Monat nur ein bisschen. Außerdem können Sie das Haus reparieren. Ich kenne viele Familien, die in Moskau arbeiten, um ein Haus in Bischkek oder der eigenen Region zu bauen und für die Ausbildung der Schwestern zu bezahlen. Im Großen und Ganzen unterstützen alle, wie sie können.

Ist die Unterstützung der Familie für Kirgisen selbstverständlich?

Ich würde nicht sagen, dass es geschätzt wird, aber na klar, die Eltern sind stolz auf dich, wenn du für sie und die engen Verwandten sorgst und dir dazu noch ein Haus oder etwas anderes bauen kannst. Es gibt bei uns einfach diese Mentalität, dass du verpflichtest bist, alle in der Familie zu unterstützen, wenn du Arbeit oder Geld hast. Bei uns lebt nicht jeder für sich selbst. Auch noch nach dem 18. Lebensjahr leben Jugendliche nicht getrennt von ihren Familien. Bei uns versorgt eine Person die ganze Familie.

Müssen Sie sich sehr einschränken, um Ihrer Familie zu helfen?

In Moskau lebe ich sehr sparsam. Ich bin hergekommen, um Geld zu verdienen. Daher besuche ich keine extravaganten Clubs und auch nur selten Cafés. Das Leben hier ist für mich langweilig, da ich hauptsächlich mit Arbeit beschäftigt bin. Was den Lebensstandard betrifft, kann ich nicht sagen, dass ich hier besser lebe. In Kirgisien habe ich schlichtweg mehr Zeit für mich.

Würden Sie lieber nach Kirgisien zurückkehren, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen?

Ich habe nicht vor, in Russland zu bleiben. Ich bin vorübergehend in Moskau, nur um Geld zu verdienen. Natürlich werde ich in meine Heimat zurückkehren und dort leben. Und zwar, wenn bessere Bedingungen für uns, für den verwundbaren Teil der Bevölkerung, geschaffen werden und Programmier-Lehrer in den Schulen eine höhere Bezahlung erhalten, mein Gehalt steigt und ich im fortgeschrittenen Alter sein werde. Professionelle Programmierer beziehen in Kirgisien nämlich hohe Gehälter. Leider besitze ich dieses Wissen aber noch nicht, da ich keine Möglichkeit hatte, auf beruflichem Niveau zu lernen. Kirgisien ist noch ein sehr junger Staat, der sich erst nach der harten Sowjetunion gefestigt hat. Wir sind auf dem Weg, aber das alte Management macht sich noch bemerkbar. Ich denke, wir werden in den nächsten zwanzig Jahren einen entwickelten Staat aufbauen.

Das Gespräch führte Julian Stegemann.

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