Freud und Leid des digitalen Lernens an der Deutschen Schule Moskau

Wenn die Schüler nicht zur Schule kommen können, dann muss die Schule zu den Schülern kommen. An der Deutschen Schule Moskau wird schon seit Mitte März Fernunterricht praktiziert. Das kann unter Umständen noch viele Wochen so weitergehen. Was heißt das für den Schulbetrieb?

So geht Schule heute: „Sitzordnung“ beim Fernunterricht (Foto: Ludmilla Nachtigal)

Der Schulweg an der Deutschen Schule Moskau war noch nie so kurz. Wenn morgens um 8 Uhr die erste Stunde beginnt, dann führt er zum Beispiel vom Frühstücks- zum Schreibtisch. Jedenfalls sind es nur ein paar Geh- und Bedienschritte, bis Nerdl geöffnet ist, ein virtueller Begleiter durch den Schultag, und damit auch der Stundenplan, in den die Lehrer eintragen, was anliegt. Dann kann es losgehen. Im Homeoffice im Kinderzimmer.

Die Deutsche Schule im Südwesten von Moskau hat in ihrer Geschichte schon so einiges an Extremen erlebt. Als der russische Präsident Wladimir Putin ihr vor einigen Jahren einen Besuch abstattete, herrschte Ausnahmezustand. Bei der Fußball-WM 2018 sorgte eine DFB-Delegation für helle Aufregung. Doch nach wenigen Stunden war der gewohnte Schulbetrieb jeweils wiederhergestellt.

Seit Mitte März kein Präsenzunterricht mehr

Jetzt ist es ein ungebetener Gast, der Lehrer-, Schüler- und Elternschaft schon seit Wochen umtreibt. Um ihn auf Abstand zu halten, wurde der Präsenzunterricht bereits zum 16. März eingestellt und das Schulgebäude im „Deutschen Dorf“ geschlossen. Praktisch von heute auf morgen war E-Learning angesagt. Nicht alles funktionierte auf Anhieb. Wer damals einen Blick in die Schulzeitung „DSM Aktuell“ warf, der las Hilferufe von Eltern, die sich mehr Rückkopplung und Betreuung für ihre Kinder durch die Schule wünschten. Direktor Uwe Beck sagt, man habe viel ausprobieren und „Grenzen auf beiden Seiten erkennen“ müssen.

In den drei Wochen Osterferien wurde das technische Repertoire erweitert. Neben dem bewährten Programm Nerdl steht seitdem Microsoft Teams zur Verfügung, so dass die Lehrer nun auch Videokonferenzen mit ihren Klassen abhalten können. Ohne Anlaufschwierigkeiten ging es dabei nicht ab, doch nicht das sei die eigentliche Herausforderung, sagt Deutsch- und Erdkundelehrer Norman Riedel, Klassenleiter einer fünften Klasse: „Es ist für die Kinder schon anstrengend, zu Hause die nötige Disziplin aufzubringen und aufmerksam zu sein.“

Dass es selbst älteren Schülern kaum zuzumuten ist, stundenlang selbstständig zu lernen, wird beim Aufbau des Unterrichts berücksichtigt. Viele Aufgaben müssen nicht unmittelbar, sondern können längerfristig erledigt werden, was eine relativ freie Zeiteinteilung und genug Pausen ermöglicht. „Man wird nicht unter Druck gesetzt, vergisst aber auch nicht, dass Schule ist“, berichtet die Elftklässlerin Elisaveta Harten. Die Situation sei zwar ungewohnt, aber sie gehe das „entspannt“ an. „Das ist kein Weltuntergang.“

Im Fernmodus bis zu den Sommerferien?

Die Deutsche Schule hat 400 Schüler, noch einmal 135 Kinder besuchen den Kindergarten. Wann wieder auf Normalbetrieb umgeschaltet werden kann, steht derzeit in den Sternen. Ursprünglich waren die Maßnahmen bis zum 4. Mai befristet. Doch inzwischen wird nicht mehr ausgeschlossen, dass es im jetzigen Modus bis zu den Sommerferien (6.7. bis 21.8.) weitergehen muss. „Wir fahren auf Sicht“, sagt Geschäftsführer Markus Mayer. Er kann der Lage durchaus auch positive Seiten abgewinnen. „Digitalisierung war ja schon lange ein Modewort in der Bildung. Jetzt wurden wir da reingeschubst. Es ist faszinierend, wie schnell man sich umstellen kann. Der Unterricht läuft, sogar der Kindergarten nutzt die digitalen Möglichkeiten“, so Mayer, dessen beide Kinder die Deutsche Schule besuchen.

Das Schulgebäude der Deutschen Schule ist derzeit eine Leeranstalt. (Foto: Wikimedia Commons/Dzasohovich)

Das Schulhaus kann vorerst auch weiterhin nur auf virtuellen Rundgängen per Facebook betreten werden. Immerhin sehen sich viele Mütter, Väter und Kinder einmal am Tag auf dem Schulgelände, wenn dort an einer Imbissbude Mittagessen zum Mitnehmen angeboten wird. Damit sollen einerseits die Eltern beim derzeitigen Multitasking entlastet werden. Andererseits wird so auch die Catering-Firma unterstützt, der seit Jahren die Cafeteria der Schule betreibt.

Vertrauenslehrer Normal Riedel freut sich derweil schon jetzt auf den Tag, wenn wieder Alltag einkehrt. „Ich verzichte gern auf die ganzen technischen Hilfsmittel, wenn ich wieder vor meinen Schülern stehen kann. Als Notnagel ist das gerade schon okay, aber auf Dauer kein Ersatz für normalen Unterricht.“ Und noch etwas habe Corona gezeigt, so Riedel: „Wir Lehrer sind Gott sei Dank nicht überflüssig. Schule ist eben viel mehr als reine Wissensvermittlung, da gehört auch soziale Kompetenz dazu. Das fehlt gerade komplett.“

Tino Künzel

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