Ein Wundermittel und viel Leere

Russland testet angeblich bereits einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Ein Erfolg würde das Ansehen der russischen Medizinindustrie schlagartig erhöhen. Denn die spielt international bisher nicht in der ersten Liga.

Kann es wahr sein? Russland will einen Corona-Impfstoff entwickelt haben. Zweifel sind angebracht. (Foto: Andrej Nikeritschew/ AGN Moskwa)

Glaubt man Alexander Ginzburg, so steht Russland dicht vor einer Sensation, die den Rest der Welt staunen lassen wird. Denn nach einer Testphase soll ab dem 12. August mit der Massenproduktion eines Impfstoffes gegen das Coronavirus begonnen werden, so der Leiter des Gamalei-Instituts, welches das Präparat entwickelt hat. Zunächst soll damit medizinisches Personal versorgt werden, anschließend der Rest der Bevölkerung. Sollte es wirklich so weit kommen, hätte die russische Forschung der Welt ein Schnippchen geschlagen. Schließlich wird überall seit Monaten fieberhaft nach einem Impfstoff gesucht, Russland hat indes niemand in der Pole-Position gesehen.

Wohl nicht ohne Stolz sprach Kirill Dmitrijew vom russischen Staatsfonds, der die Forschung finanziert, beim US-Nachrichtensender CNN von einem „Sputnik-Moment“. Der Impfstoff konnte so schnell entwickelt werden, weil man ein bereits bekanntes Vakzin modifiziert hat. Ob er aber so gut ist, wie versprochen, ist absolut unklar. Denn es wurden weder klinische Daten veröffentlicht, noch weltweit übliche Erprobungsphasen eingehalten. Wohl auch deshalb poltert CNN, dass Russland das Rennen um den Impfstoff um jeden Preis gewinnen wolle, um seinen Status als globale Wissenschaftsmacht zu untermauern.

Erfolge liegen weit zurück

Tatsächlich sind die Zeiten, in denen die Welt mit Hochachtung auf die russische Medizin schaute, lange vorbei. Über 100 Jahre ist es her, dass mit Iwan Pawlow (1904) und Ilja Metschnikow Nobelpreise für Medizin ins größte Land der Erde gingen. Und auch der Pionier der Transplantationschirurgie Wladimir Demichow dürfte den wenigsten ein Begriff sein. Experimentierte er doch bereits in den 1930ern.

Ansonsten glänzen die Krankenhäuser zwar durch eine hohe Zahl an Ärzten, aber gerade außerhalb Moskaus auch durch schlechte Ausstattung und chronische Unterfinanzierung, was während der Corona-Pandemie abermals deutlich wurde, als vielerorts einfache Schutzutensilien fehlten.

Ähnlich ist es auf dem Medikamentenmarkt. Verfügt Russland über eine breite und relativ günstige Grundversorgung, sieht es in der Spitze sehr dünn. Konkret heißt das, dass die teuren Medikamente oft importiert werden. Zwar wird in Russland in Unternehmen und Forschungsclustern an Medikamenten, in erster Linie gegen Krebs, experimentiert. Doch trotz einiger guter Vorhersagen hat es noch keines zur Marktreife gebracht. Auch ein neues Wundermittel ist bisher nicht absehbar.

Nur wenige Neuzulassungen bei Medikamenten

Und die russische Forschung hinkt hinterher. Zwischen 2016 und 2018 wurden 50 neuartige Medikamente eingeführt. Halb so viel wie etwa in Großbritannien und Deutschland. Zeitgleich erhielten viele europäische Präparate eine Zulassung. Ein weiteres Problem ist, dass die neuen Arzneien für die Patienten oft nur schwer zugänglich sind. Rund ein Jahr dauert es, bis ein innovatives Präparat bei den Kunden ankommt.

Auch im internationalen Vergleich sind russische Medikamente wenig gefragt. Zwar stieg der Export im ersten Halbjahr 2019 um 26 Prozent auf 15 Milliarden Rubel (180 Millionen Euro). Doch ging der Großteil der Ware in die sogenannten Volksrepubliken Do­nezk und Lugansk. Eine verstärkte Nachfrage kam dazu noch aus dem Sudan. Doch das ist zu wenig, um eine wichtige Rolle zu spielen, wie es sich die Regierung mit dem Programm „Pharma 2020“ erhofft hat.

Innovativ und international in der Spitzengruppe ist Russland lediglich im Bereich Digitale Gesundheit. Es gebe viele Faktoren, die eine Entwicklung der digitalen Medizin begünstigen, erklärte Maxim Tschernin von der Organisation „Doktor rjadom“ vor gut einem Jahr. Zukunftsfähig ist auch der Medizintourismus, der in den kommenden Jahren stark ausgebaut werden und Devisen bringen soll (die MDZ berichtete). Bis zu einer Milliarde US-Dollar sollen es 2024 sein, so hoffte man vor der Corona-Pandemie. Ob die Patienten aber mit russischen Medikamenten behandelt werden, ist fraglich.

Daniel Säwert

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