Dokumentation des Grauens: Holocausttagebücher im Jüdischen Museum

Anne Frank, Hélène Berr, Mary Berg, Éva Heyman, Elisabeth Kaufmann – alle diese Frauen haben einander nie kennengelernt. Dennoch haben sie alle eines gemeinsam. Während des Holocaust führten sie Tagebuch und erlauben so der Nachwelt einen persönlichen Einblick in die schrecklichste Phase des 20. Jahrhunderts.

Tagebuch

Anne Frank erschütterte mit ihrem Tagebuch Generationen © Anne Frank House Amsterdam

„Ich beeile mich mit dem Schreiben, nur Fakten, um nicht zu vergessen, weil man nicht vergessen darf“, notierte Hélène Berr 1942 in ihr Tagebuch. Nach der Besetzung von Paris durch die Nationalsozialisten begann die junge Frau, den Alltag in der Stadt festzuhalten, aber auch konkrete Vorfälle zu schildern. Wie das tragische Ende der Familie der Mademoiselle Monsaingen, deren gesamte Familie – „Vater, Mutter und fünf Kinder“ – sich mit Gas tötete, um nicht bei einer Razzia entdeckt und deportiert zu werden.

Als sie diese Zeilen niederschrieb, war Hélène Berr 21 Jahre alt. Damit ist sie die älteste der jungen Frauen, deren dokumentarische Erinnerungen in der Ausstellung „Anne Frank. Tagebücher des Holocaust“ im Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz zu sehen sind.

Neuinterpretation durch Künstler

Obwohl die Ausstellung den Namen der Autorin des bekanntesten Tagebuchs trägt, steht Anne Frank nicht im Mittelpunkt. Jeder Autorin ist ein eigener Saal gewidmet, an deren Wänden Zeilen aus den Tagebüchern mahnen.

Es sind Zeilen, denen man nicht entfliehen kann. In der Ausstellung werden sie  von zeitgenössischen Künstlern neu interpretiert. So wie in Christian Boltanskis „La Fête du Pourim“. An Purim,  dem Fest, das an die Rettung der Juden aus der drohenden Gefahr in der persischen Diaspora erinnert, spielen Kinder Szenen der Tora nach.

Boltanski nutzt für seine Installation Kinderporträts, die 1939 während des Purim-Festes gemacht wurden. Enstanden ist ein Altar, auf dem die Kinder wie Heilige wirken. Denn für viele diese Kinder war es das letzte Porträtfoto in ihrem Leben.

Auch Hélène Berr hat das Kriegsende nicht mehr erlebt, sie kam im Lager Bergen-Belsen ums Leben. Vor ihrer Verhaftung schaffte sie es aber, ihr Tagebuch ihrem Verlobten zukommen zu lassen, der es veröffentlichte.

Fast niemand hat überlebt

Tragisch war auch das Schicksal der erst 13-jährigen Éva Heyman im Ghetto in Nagyvárad. Den ihr gewidmeten Saal durchdringt eine ungewöhnliche Klanginstallation. „Éva schrieb, dass sie die Augen nicht öffnen wolle, um den Horror des Ghettos nicht anschauen zu müssen.

Aber gerade aus dieser Richtung hört sie die Geräusche eines Eiswagens“, erklärt Kuratorin Monica Norse. Und so vernehmen auch die Besucher eben jenen herannahenden Eiswagen. Mit nur 13 Jahren wurde Éva in Auschwitz vergast.

Auch aus dem Saal Elisabeth Kaufmanns dringen Geräusche. Es sind die eines Fahrrads. Auf diesem floh die junge Frau 1940 aus Paris. Mit ihrer Mutter, die per Auto die Stadt verließ, wollte sie sich auf der Flucht alle drei bis vier Kilometer treffen. Der Tagebucheintrag vom 14. Juli 1940 zeigt, dass sie an diesem Tag nicht zueinander fanden. Erst einige Jahre später war es so weit. Noch vor Kriegsende konnten die Frauen in die USA auswandern. Es ist eine der wenigen Geschichten aus der Zeit des Holocaust, die ein glückliches Ende hatte.

Ljubawa Winokurowa

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