Zehn Minuten zu Fuß von der Metrostation „Straße von 1905“ und schon ist man da, auf der Chodynsker Straße, am Kulturzentrum „Sotov“. Man kann es jedoch nicht sofort ausmachen zwischen den gigantischen Hochhäusern, die das Denkmal des Konstruktivismus eng umschließen. Einerseits scheinen die Wolkenkratzer eine bedrohliche Bebauung dieses Stadtbezirks zu sein, andererseits wurde dank ihnen die Brotfabrik restauriert. Die Baufirma war einer der Sponsoren.
Die Brotfabrik als eine konstruktivistische Lösung
Die Fabrik in der Chodynsker Straße wurde 1921 erbaut. Sie war die erste von fünf in der UdSSR nach dem System des Ingenieurs Georgi Marsakow errichteten automatischen Brotfabriken mit einem ringförmigen Fließband. Drei Fabriken wurden in Moskau und zwei in Leningrad gebaut. Der Hauptbestandteil des automatischen Betriebes war das ringförmige Fließband. Die Produktion bewegte sich von oben nach unten. Das Mehl wurde ganz nach oben geschickt und unten kamen fertige Brote und Brötchen heraus. So wurde das Brot schneller und billiger gebacken. Eine solche Werkskonstruktion war auch kompakter, das Fließband nahm nicht so viel Platz ein. Eine konstruktivistische Lösung! Die Brotfabrik wurde 1978, ein Jahr nach dem Tode Wassili Sotows, des Ministers der Lebensmittelindustrie der UdSSR, nach ihm benannt.
2004 wurde die automatische Brotfabrik № 5 zum kulturellen Erbe regionaler Bedeutung ernannt. Die Brotproduktion wurde 2006 eingestellt. Lange Zeit vegetierte das Gebäude mit eingeschlagenen Fensterscheiben und bröckelnder Fassade vor sich hin. So lange, bis dieses Stück Land von Baufirmen und Banken bemerkt wurde. Heute gehört das Gebäude nicht dem Staat, sondern befindet sich in Privatbesitz.
Viel Licht, viel Weiß und viel Avantgarde
Leiter des Restaurationsprojektes wurde der bekannte russische Architekt Sergej Tschoban (lebt schon lange in Deutschland) und sein Büro „SPITCH“. In einem Interview sagte Tschoban, dass es für ihn sehr wichtig war, das Gebäude in seinem ursprünglichen Zustand zu erhalten, soweit das möglich war. „Wir haben die konstruktivistische Architektur in dem Zustand erhalten, in dem wir sie vorgefunden haben, beeinflusst vom Nutzungsprozess und dem Wechsel der Epochen und Besitzer“, erklärte er.
Es ist ein vierstöckiges Gebäude. Im ersten Stock haben sich ein Café und eine Buchhandlung mit Literatur über Architektur angesiedelt, im zweiten und dritten Stock gibt es Ausstellungsflächen, im vierten ein Kino. Dabei muss man sich immer vor Augen halten, dass man sich nicht geradeaus, sondern im Kreis bewegt, was ein wenig verwirrt. Im Inneren ist „Sotow“ neu, frisch, sauber und schick. Viel Licht, viel Weiß und viel Avantgarde. Bis März ist dort noch die Ausstellung „1922. Konstruktivismus. Der Beginn.“ zu sehen, für die Werke von Wassily Kandinsky, Kazimir Malewitsch, El Lissitzky, Alexander Rodtschenko zusammengetragen wurden. Man brachte sie aus 17 russischen Museen, Institutionen und privaten Sammlungen hierher.
In der Ausstellung kann man den Entwicklungsweg der Avantgarde (Konstruktivismus ‒ eine avantgardistische Richtung, der Bruder des deutschen Bauhauses) sowohl als künstlerische Erscheinung (in der Ausstellung gibt es Bilder, Skulpturen, Entwürfe für Theaterstücke) als auch in praktischer Anwendung, als Beispiel dient die Brotfabrik, verfolgen.
Ljubawa Winokurowa