Berufsverbote abgeschafft: Durchbruch für Frauen?

Seit diesem Jahr dürfen Frauen in Moskau Metro-Züge fahren. Das ist ein großer Erfolg. Doch völlige Gleichberechtigung herrscht noch nicht.

Historischer Augenblick: eine der ersten Moskauer Metro-Fahrerinnen (Andrej Nikeritschew/ AGN Moskwa)

Zum ersten Arbeitstag gab es einen Blumenstrauß für die zwölf neuen Mitarbeiterinnen der Moskauer Metro. „Die Mädchen haben sich seit vergangenem Februar fast ein Jahr darauf vorbereitet, sicher, komfortabel und zuverlässig Züge der Metro zu bedienen“, erklärte der Moskauer Vizebürgermeister Maxim Liksutow vor versammelter Presse am 3. Januar. Der triste Sonntag zu Jahresbeginn ist eine Zäsur in der Geschichte der stolzen Metro der russischen Hauptstadt. Nach fast 86 Jahren Betrieb dürfen erstmals Frauen Züge durch den Moskauer Untergrund steuern. Das sorgte auch international für jede Menge Aufmerksamkeit.

Viele Berufsverbote wurden aufgehoben

Doch die Aufhebung des Berufsverbots für Frauen hinter dem Steuer eines Metro-Wagens ist nur die Spitze des Eisbergs. Schrumpfte doch die Liste mit Berufen, die in Russland für Frauen als zu gefährlich angesehen werden, mit Jahresbeginn von 456 auf 100. So darf es ab sofort auch Bootsführerinnen, Kapitäninnen oder Matrosinnen auf Schiffen, Traktorfahrerinnen oder Fernfahrerinnen geben. Branchen wie die Chemie- und Textilproduktion, der Bergbau, der Tief- und Hochbau, die Öl- und Gasförderung sowie die Metallverarbeitung sind für Frauen indes immer noch tabu.

Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wird auch in der russischen Gesellschaft zunehmend thematisiert, auch wenn es bis zu europäischen Diskursen noch ein weiter Weg ist. Denn auch die geschrumpfte Liste bedeutet, dass der Staat den Frauen das Recht nimmt, bestimmte Berufe auszuüben. Und das auf rein biologischer Grundlage. Für Nadeschda Jewgrafowa, Aktivistin der Bewegung „Zivilgesellschaft“ (Graschdanskoje obschtschestwo), ist das nicht hinnehmbar. „Natürlich sind Männer und Frauen biologisch unterschiedlich. Zu sagen, dass Männer und Frauen biologisch gleich sind, ist falsch. Aber es gibt einzelne Frauen, die zäher sind als der Durchschnittsmann, oder es gibt einzelne Frauen, die eine stärkere Gesundheit haben als der Durchschnittsmann. Und über ihre Fähigkeit zu entscheiden, den Beruf zu wählen, den sie wollen, halte ich für falsch“, sagt Jewgrafowa im Gespräch mit der MDZ.

Frauen vor allem im öffentlichen Dienst

Mit Blick auf den gesamten russischen Arbeitsmarkt stellt sich die Frage, ob die Liste der verbotenen Berufe eine so große Ungerechtigkeit und Einschränkung darstellt, wie häufig behauptet. Denn in vielen Bereichen arbeiten deutlich mehr Frauen als Männer. So bestand der Staatsapparat nach Angaben der föderalen Statistikagentur Rosstat im Jahr 2017 zu 72 Prozent aus Frauen. Bei den Juristen waren es gar 77 Prozent. Doch dieser Schein trügt. Denn Frauen findet man selten in höheren Positionen. So hat die Duma etwa einen Frauenanteil von lediglich 16 Prozent und auch im Föderationsrat sieht es mit 17 Prozent nicht besser aus. Im Vergleich zu Europa ist dies ein sehr niedriger Wert.

In vielen Ländern wird die Frauenquote als Mittel zur Gleichberechtigung beschworen. Davon will Jewgrafowa jedoch nichts wissen. „Vor Kurzem wurde in Frankreich das Bürgermeisteramt mit einer Geldstrafe belegt, weil es einen viel höheren Anteil an Frauen als an Männern gab. So oder so, jede Geschlechterquote wird dazu führen, dass sich alle schlecht fühlen werden. Es ist die Aufgabe der Frauen selbst, Vorbilder für zukünftige Generationen zu werden“, ist die Aktivistin überzeugt.

Leicht ist diese Aufgabe nicht, denn trotz der viel beschworenen sowjetischen Gleichheits-Tradition verdienen russische Frauen häufig deutlich weniger als Männer. Nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften lag der Gender-Pay-Gap im Jahr 2019 bei 27 Prozent. In Moskau betrug der Unterschied lediglich elf Prozent. Das ist bereits ein Erfolg. Denn als die sogenannten „Mai-Dekrete“, ein Plan mit Entwicklungszielen bis 2024, vor neun Jahren verabschiedet wurden, lag der Einkommensunterschied noch bei 33 Prozent.

Gender-Pay-Gap verschwindet nur langsam

Die unterschiedlichen Gehälter wirken sich auch auf die Rente aus, auch wenn die Lücke in den meisten russischen Regionen deutlich kleiner ist. So erhalten Männer durchschnittlich „nur“ 5,5 Prozent mehr Rente als Frauen. In der Hauptstadt sind die Ruhestandszahlungen sogar bereits angeglichen. Führend bei der Geschlechtergleichheit ist nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften aber St. Petersburg. Moskau landet auf dem zweiten Platz, gefolgt von der Republik Kalmückien. Die größte Ungleichheit herrscht in der sibirischen Republik Chakassien.

Die Geschlechtergleichheit auf dem russischen Arbeitsmarkt bleibt eine zweischneidige Angelegenheit. Die Bestrebungen, Frauen die Möglichkeit zu geben, in den gleichen Berufen wie Männer zu arbeiten und auch wie diese zu verdienen, sind jedenfalls erkennbar. Bis völlige Gleichheit herrscht und der Gender-Pay-Gap verschwindet, werden aber noch Jahre vergehen.

Nikolai Stepanov

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