„Neue Perspektiven in den Dialog einbeziehen“

Das Deutsch-Russische Forum ist derzeit eine der letzten Plattformen, auf denen der zivilgesellschaftliche Dialog zwischen beiden Ländern noch geführt werden kann. Die neue Vorstandsvorsitzende des DRF Petra Schwermann im Interview mit der MDZ.

Pfarrerin Petra Schwermann, Leiterin des Deutsch-Russischen Forums (Foto: DRF)

Frau Schwermann, Sie wurden zur neuen Vorsitzenden des Vorstands des Deutsch-Russischen Forums e.V. gewählt worden. Um diese Position heute zu besetzen, muss man wirklich Mut haben. Wie haben Sie sich dafür entschieden?

Das Deutsch-Russische Forum hat eine fast dreißigjährige Geschichte, in der es sich für Begegnungen, Städtepartnerschaften, den Austausch der Jugend und Dialoge zum aktuellen Zeitgeschehen eingesetzt hat. In dieser Zeit sind Beziehungen gewachsen und Netzwerke geknüpft worden, die abseits des aktuellen Kriegsgeschehens wertvoll sind und bleiben. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass Menschen in Deutschland und Russland auch künftig Wege finden, miteinander zu reden. Deshalb habe ich mich entschlossen, als Vorsitzende meinen Beitrag dazu zu leisten. Sie haben recht: Das kostet in diesen Zeiten Mut. Aber mein Mut ist getragen von all denen, die darauf hoffen, dass die zivilgesellschaftlichen Brücken zwischen unseren Ländern nicht komplett zerstört werden.

Die breite Öffentlichkeit – zumindest in Russland – kennt Sie nicht. Es stellt sich die Frage: „Who is Mrs. Schwermann?“ Wie würden Sie diese Frage beantworten?

Frau Schwermann ist eine Pfarrerin und Sozialmanagerin. Sie ist 52 Jahre alt und vereint Erfahrungen aus Management, Beratung, Marketing und Pressearbeit mit einer geistlichen Grundhaltung, die für Begegnung und Verständigung steht. Derzeit leitet sie ein Diakonisches Werk. Damit ist sie mitten in den dringenden Fragen unserer Zeit aktiv: in der Armutsbekämpfung, in der Obdachlosenhilfe und für Geflüchtete, die derzeit insbesondere als Frauen mit Kindern aus der Ukraine kommen. Ganz besonders liegt ihr die Entwicklung junger Menschen am Herzen. Deshalb ist sie auch im Vorstand einer regionalen Jugendhilfeeinrichtung in Nordhessen. Sie engagiert sich in der Medienanstalt Hessen und leitet dort den Programmausschuss. In ihrer Freizeit wandert sie mit Mann und Hund durch die Region. Sie liest gerne und viel, und sie liebt das Theater, das klassische Konzert und die Oper.

Ein Porträt des typischen DRF-Leiters: ein Politiker, ein Mann. Nun bekleidet eine Frau diesen Posten. Und diese Frau kommt nicht aus den politischen Kreisen, sondern hat einen kirchlichen Background. Wenn es ein Zeichen ist, dann wofür?

Ich freue mich, wenn dies ein Zeichen dafür ist, dass das Deutsch-Russische Forum angesichts der weltpolitischen Lage in einer Phase der sorgsamen Orientierung und Standortbestimmung ist. Vielleicht ist dies bei aller Trauer um die derzeitige schwierige Lage eine Chance, bewusst neue Perspektiven in den Dialog einzubeziehen.

80 Prozent der Vorstandsmitglieder sind „Neuangekommene“. Sollten wir mit einer Kursänderung rechnen?

Der Vorstand ist gerade gewählt und findet sich in diesen Wochen zu seiner Arbeit zusammen. In diesem neuen Vorstand sind Menschen, die sich in ihrem Alltag aktiv zivilgesellschaftlich und sozial engagieren. Neben mir möchte ich hier explizit Anne Hofinga und Hermann Krause nennen. Daraus ergeben sich gemeinsam mit dem Historiker Peter Brandt sicherlich neue Akzentuierungen im Diskurs um soziale und friedensethische Themen. Zugleich bin ich überzeugt, dass die bewährten Handlungsfelder des Deutsch-Russischen Forums auch in Zukunft relevant sind.

Welche Schritte heute sehen Sie als notwendig? Was möchten Sie als Leiterin des DRF als Erstes unternehmen?

Meine ersten Schritte im neuen Amt führen mich zu Mitgliedern und Netzwerkpartnern, um mich einerseits vorzustellen und andererseits die Vielfalt der Sichtweisen, Interessen und Anliegen wahrzunehmen.

Haben Sie und der Vorstand einen konkreten Plan A und womöglich einen Plan B, der verschiedene Szenarien der politischen Entwicklungen berücksichtigt?

In der aktuellen Situation ist es kaum absehbar, wann und wie es zu einer Lösung für die Kriegshandlungen in der Ukraine kommen kann. Wir alle hoffen auf Frieden. Doch Vieles, was uns bislang im Austausch selbstverständlich war, ist jetzt angesichts der politischen Lage nicht oder nur erschwert möglich. Unsere Arbeit in diesen Tagen geschieht mit dem Ziel, Mitgliedern und Partnern in Deutschland und in Russland zu vermitteln, dass sie und ihr Engagement für eine deutsch-russische Verständigung nicht vergessen sind.

Dem DRF wird derzeit vorgeworfen, die Organisation vereinige „Putinversteher“ und „Kremlfreunde“. Was würden Sie dazu sagen?

Ich mag ganz persönlich nicht solche plakativen Verurteilungen, weil sie grob und oberflächlich sind. Das DRF hat sich gut dreißig Jahre lang für eine Verständigung und einen guten Austausch zwischen unseren Ländern eingesetzt. Dies war natürlich auch durch die Unterstützung politischer Ebenen in beiden Ländern möglich. Das nun nachträglich als eine unzulässige Nähe zu deuten, halte ich für falsch. Als Pfarrerin vertrete ich die historisch-kritische Analyse, die Aussagen und Handlungen immer in Bezug zu ihrer Zeit zu verstehen sucht. Diese Haltung sollten wir auch in der heutigen Zeit einnehmen.

Der Petersburger Dialog und das DRF sind tief miteinander verbunden. Nun wird das bilaterale Diskussionsforum anscheinend Anfang 2023 geschlossen. Aber auch früher wurde der Petersburger Dialog einer Kritik unterworfen: Es sei eher eine Imitation der Zusammenarbeit der beiden Länder auf gesellschaftlicher Ebene. Was meinen Sie dazu? Was könnten Sie über dieses Format sagen?

Den Petersburger Dialog habe ich in den vergangenen zehn Jahren als Teilnehmerin der Arbeitsgruppen „Kirchen in Europa“, „Medien“ und „Zivilgesellschaft“ erleben dürfen. In diesen Arbeitsgruppen herrschte ein reger Austausch zu Fragen der Zeit. Es wurde aus unterschiedlichen Perspektiven engagiert diskutiert und im guten Sinne gestritten. Aus dem Diskurs sind gemeinsame Projekte und Initiativen entstanden. Dies verstehe ich als eine gute Zusammenarbeit. Deshalb bedauere ich, dass der Petersburger Dialog wohl nicht weitergeführt werden wird.

Ist ein Dialog mit Kriegshandlungen in der Ukraine im Hintergrund überhaupt noch möglich? Mit wem auf der russischen Seite würde das DRF einen Dialog führen?

Dies sind die Fragen, die den Vorstand derzeit bewegen, und zu denen er eine Orientierung vornehmen wird. Als Pfarrerin bin ich der tiefen Überzeugung, dass ein Abbruch des Miteinanderredens niemals zu einer Lösung führt.

Glauben Sie an die gute Perspektive der deutsch-russischen Beziehungen in der absehbaren Zeit?

Ich glaube daran, dass es in Deutschland und in Russland viele Menschen gibt, die sich einander verbunden fühlen. Uns verbindet eine lange Geschichte, mit gemeinsamen kulturellen Wurzeln ebenso wie mit Zeiten, in denen wir uns im Krieg gegeneinander befunden haben. Dass es in unserer gemeinsamen Geschichte immer wieder gelungen ist, Menschen in einem zivilgesellschaftlichen Dialog zusammen zu bringen, lässt mich auch auf die Zukunft hoffen.

Das Gespräch führte Olga Martens

ZUR PERSON

Petra Schwermann

Geboren am 3. November 1970 in Ibbenbüren, studierte Petra Schwermann evangelische Theologie in Bethel, Marburg und Heidelberg sowie Sozialmanagement in Essen. Schwermann war zunächst in der Stiftung Heywinkel-Haus und in der Horbach AG tätig, bevor sie von 2001 bis 2003 ihr Vikariat in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck absolvierte und ordiniert wurde. Nach einer Tätigkeit in der Zentrale des Diakonischen Werkes der Landeskirche war Schwermann von 2005 bis 2010 Pfarrerin der Johanneskirchengemeinde in Bad Hersfeld. Es schlossen sich eine Beauftragung der Landeskirche für Großprojekte und Sonderveranstaltungen sowie die Tätigkeit als Sprecherin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck an. Derzeit ist Schwermann Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes des Kirchenkreises Schwalm-Eder. Seit 2012 beteiligt sie sich im Ehrenamt in den Arbeitsgruppen Kirchen, Medien und Zivilgesellschaft des Petersburger Dialogs e.V. und ist Mitglied von Soroptimist International, Club Fritzlar/Homberg. Petra Schwermann ist verheiratet. Mitte November 2022 wurde Pfarrerin Petra Schwermann im Rahmen einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zur neuen Vorsitzenden des Vorstands des Deutsch-Russischen Forums e.V. gewählt.

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