Moskaus berühmtester Feinkostladen Jelissejew schließt

Der Feinkostladen Jelissejew ist in der Hauptstadt eine Institution. Über ein Jahrhundert lang zogen das reich geschmückte Jugendstilinterieur und die große Warenauswahl Moskauer wie Touristen gleichermaßen an. Mitte April ist damit Schluss.

Jelissejew
Der Feinkostladen Jelissejew im Jahr 1987. Auch in der spätsowjetischen Mangelwirtschaft waren die Vitrinen mit erschwinglichen Lebensmitteln gefüllt. (Foto: Wjatscheslaw Bobkow/ RIA Novosti)

„Auf dem Bürgersteig gab es einen Andrang von Menschen, die durch die verspiegelten Scheiben auf die seltsamen Aufbauten verschiedener in Moskau bisher unbekannten Waren schauten.“ Der bekannte Moskauer Schriftsteller Wladimir Giljarowskij schien am 5. Februar 1901 von der Eröffnung des Feinkostladens Jelissejew angetan zu sein. So sehr, dass er diesen Tag später in seinem Buch „Kaschemmen, Klubs und Künstlerklausen: Sittenbilder aus dem alten Moskau“ festhielt. 

Der „Jelissejew-Laden und Keller russischer und ausländischer Weine“, so der offizielle Name, eroberte die Herzen der Moskauer im Sturm. Zwar gab es auch in andere berühmte Feinkostläden in der Stadt. Doch keiner war so prächtig gestaltet, wie das Geschäft der St. Petersburger Kaufmannsfamilie auf der Twerskaja uliza. Und dazu gab es dort Waren, die man nirgendwo sonst in der Stadt fand, wie etwa Kolonialwaren und guter Wein. Diese Symbiose aus luxuriösem Stil und einem ebensolchen Angebot machte das Jelissejew schnell zu einer Legende, erklärt die Autorin und Moskau-Expertin Natalja Leonowa am Telefon.

In kurzer Zeit zur Legende geworden

Daran änderte sich auch in der Sowjetunion nichts. Die neuen Machthaber hielten am Feinkostladen fest. Lediglich der Name musste weichen. Aus dem großbürgerlichen Jelissejew wurde das Gastronom Nr. 1. Nicht jedoch für die Moskauer. Für sie blieb das Geschäft weiterhin ihr Jelissejew. 

Im sozialistischen Staat stand das Jelissejew allen offen. Und die Menschen kamen, gab es hier doch eine große Auswahl zu normalen Preisen. Manch einer ließ sich deshalb zu kleinen Extravaganzen verleiten. Wie die Schriftstellerin Warwara Malachijewa-Mirowitsch. In ihrem Tagebuch schrieb sie, dass sie 1947 im Jelissejew eigentlich ein paar Süßigkeiten kaufen wollte, sich dann aber doch für Kaviar entschied. 

Noch dekadenter ging es in der Sonderabteilung zu, in der hochrangige Funktionäre Lebensmittelpakete erhielten. Leonowa erinnert sich an eine Geschichte ihres Großvaters. Der hatte Ende der 1930er Jahre einen Kommilitonen, dessen Vater Professor war. So bekam die Familie immer wieder solche Pakete, von denen zwei Personen einen Monat lang satt wurden, erzählt die Autorin.

Für viele Moskauer waren es aber die kleinen und einfachen Dinge, die im Jelissejew begeisterten. Im Gespräch mit der MDZ erinnert sich Olga Maslennikowa an das frische Brot, das in einem Nebeneingang verkauft wurde. Das war richtig gut, meint sie. In den 1950ern und 1960ern wohnte sie gegenüber dem Jelissejew. Ihre Besuche im Geschäft haben sich der heute 85-Jährigen dermaßen ins Gedächtnis eingebrannt, dass sie auch heute noch genau weiß, in welcher Ecke es was zu kaufen gab.

Alexander Beresin erinnert vor allem die Alkoholversorgung in der Umbruchphase nach dem Ende der Sowjetunion. 1992 arbeitete der Unternehmer in der Nähe des Jelissejew und beobachtete, wie die Menschen damals für die rauschbringenden Getränke anstanden. Die Schlangen haben die Gesellschaft zusammengebracht, erzählt Beresin der MDZ. Arbeiter, Künstler, Studenten – alle versuchten, hier an das begehrte Gut zu kommen. Am meisten beeindruckten den Unternehmer aber die Verkäuferinnen, die trotz der angespannten Situation freundlich und zuvorkommend waren. Das war damals im Handel alles andere als üblich, betont Beresin. Umso mehr genoss er es, mit den Verkäuferinnen Nettigkeiten auszutauschen. 

Schleichender Niedergang

Der Geist des Jelissejew war schon lange verflogen, bevor jemand das Wort Schließung in den Mund nahm, ist Leonowa überzeugt. Bei der Sanierung Anfang der 2000er habe man dem Jelissejew seine Seele geraubt, sagt sie. Denn der neue Betreiber stellte das Konzept um. Statt vieler verstreuter Theken überall im Laden, zogen nun Metallkühlschränke in den Prachtbau ein. Das Jelissejew war kaum noch von einem Discounter zu unterscheiden, schimpft Leonowa. Dementsprechend enttäuscht waren die Moskauer, als sie sahen, was aus ihrem geliebten Geschäft geworden war.

Nachdem der aktuelle Betreiber schon länger mit Problemen zu kämpfen hatte, geriet er in der Corona-Pandemie endgültig in Schieflage. Immer wieder gab es Gerüchte, wie es mit dem Jelissejew weitergeht. Eine Möglichkeit, die ins Spiel gebracht wurde, war der Einzug des Feinkostladens Gastronom Nr. 1 des GUM. Das Kaufhaus am Roten Platz hatte sich bereits den sowjetischen Namen des Jelissejew gesichert. Warum also nicht auch die Räume? Für den Feinkostladen war die unsichere Situation pures Gift. Moskaus Vorzeigegeschäft siechte vor sich hin. Symbolisch für den Niedergang stand die Weinabteilung. Schon länger wurden die Regale dort nicht mehr aufgefüllt. Ein trauriges Bild, meint Leonowa. Auch bei den Angestellten. „Wir wissen nichts“, hieß es immer wieder, wenn die Autorin die Sicherheitsmänner nach der Zukunft des Geschäfts fragte. 

Ende März wurde klar, dass die Zukunft düster aussieht. Trotz aller Diskussionen fand sich kein neuer Betreiber. Schulden, mehrere Klagen vor Gericht und eine unklare Besitzstruktur der Immobilie auf der Twerskaja uliza – das Geschäft ist für Investoren unattraktiv. So endet am 11. April das letzte Kapitel der 120-jährigen Geschichte des Feinkostladens Jelissejew.     

Ein kleiner Funke Hoffnung

Ganz aufgeben wollen einige Moskauer aber noch nicht. Die Hoffnung bleibt, dass dem letzten Kapitel ein Epilog folgt, oder besser ein Cliffhanger zu einer neuen Erfolgsgeschichte. Damit das gelingen kann, braucht man ein gutes Konzept, das auch modernen Trends folgt. Kandidaten gibt es in Russland durchaus, sagte der Generaldirektor des Consultingunternehmens RGG Denis Kolokolnikow dem Radiosender „Business FM“. Die Moskauer sind jedenfalls dafür. In Internetdiskussionen wünschen sich die Anwohner der Patriarchenteiche, dass auf der Twerskaja uliza wieder gute Lebensmittel verkauft werden. Die können dann auch gerne etwas mehr kosten. Hauptsache, das Jelissejew bleibt erhalten.

Daniel Säwert

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