Flugzeugabsturz von 2010: „Das Ende der Lügen“

Der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine beim Anflug auf einen russischen Militärflughafen im Jahr 2010 ist in Polen bis heute ein brisantes Thema. Damals starben alle 96 Menschen an Bord. So lange die rechtskonservative PiS an der Macht war, wurden Theorien um einen Anschlag forciert. Die neue Regierung von Donald Tusk verkündet nun „das Ende der Lügen“.

Die Unglücksmaschine der polnischen Luftwaffe: Polen zieht menschliches Versagen als Absturzursache nicht mehr in Zweifel. (Foto: Wikimedia Commons)

Es kann Donald Tusk nicht um ein paar politische Kurskorrekturen gegangen sein, als er Mitte Dezember zum zweiten Mal nach den Jahren 2007 bis 2014 das Amt des polnischen Ministerpräsidenten antrat. Nach acht Jahren konservativer PiS-Regierung steht der frühere EU-Ratspräsident im Gegenteil für einen fundamentalen Politikwechsel. Dass zu den ersten Amtshandlungen die Auflösung einer von der Vorgängerregierung 2016 eingesetzte Untersuchungskommission zum Absturz der polnischen Präsidentenmaschine 2010 bei Smolensk gehörte, ist unter diesen Vorzeichen immerhin erstaunlich.

Polen sieht von Klage ab

Die Arbeit der Kommission unter Vorsitz von Ex-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz soll nun selbst Gegenstand einer Untersuchung werden. Sie hatte über die Jahre zahlreiche Theo­rien zur Absturzursache verbreitet und immer wieder einen Anschlag ins Spiel gebracht, hinter dem Russland stecken könnte. Demnach sollen Explosionen an Bord die Maschine noch vor dem Aufprall zerstört haben. Das wurde mit der Zeit als fast schon gesicherte Tatsache ausgegeben und kam bei der rechtskonservativen PiS-Anhängerschaft gut an. Nur beweisen lässt es sich nicht. Und es widerspricht den Untersuchungsergebnissen von drei früheren Kommissionen sowohl in Russland als auch in Polen.

Dass Polen angesichts dieser Faktenlage vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ziehen und dort Russland verklagen wollte, hat die neue Regierung nun rückgängig gemacht. Außenminister Radoslaw Sikorski erklärte, eine solche Klage habe „nicht einmal theoretische Chancen auf Erfolg“. Der stellvertretende Verteidigungsminister Cesar Tomczyk sagte, von nun an gelte wieder der Abschlussbericht der sogenannten Miller-Kommission, benannt nach dem damaligen Innenminister Jerzy Miller, aus dem Jahr 2011 als offizielle Position Polens. „Das ist das Ende der Lügen“, so Tomczyk vor der Presse. Neu aufgerollt werden soll der Fall nicht.

Ein nationales Trauma

Die Miller-Kommis­sion war in der Hauptsache zu ähnlichen Schlüssen gekommen wie eine russische der Luftfahrt-Behörde MAK zuvor. Demnach hatten die Piloten den Unfall verursacht, weil sie trotz völlig unzureichender Sicht den Landeanflug erst dann abzubrechen versuchten, als es zu spät war. Die polnische Militärstaatsanwaltschaft stützte 2015 diese Erkenntnis. Dass es sich um mehr als einen Unfall gehandelt haben könnte, dafür wurden keine Anzeichen gefunden.

Ein polnisches Plakat mit den Porträts der Absturzopfer (Foto: Wikimedia Commons)

Der 10. April 2010 ist für die Polen bis heute ein nationales Trauma – und ein Politikum. An jenem Tag wollte Präsident Lech Kaczyinski in Russland des 70. Jahrestags des Massakers von Katyn gedenken, bei dem NKWD-Soldaten 1940 Tausende polnische Gefangene erschossen hatten. Wladimir Putin, damals russischer Premier, und Donald Tusk hatten sich am Mahnmal von Katyn westlich von Smolensk bereits drei Tage vorher getroffen. Nun folgten neben Kaczynski und seiner Frau Maria auch weitere hochrangige Politiker, Abgeordnete und fast die gesamte militärische Führung des Landes.

Bäume als plötzliches Hindernis

Doch beim Anflug auf den Militärflughafen Smolensk-Nord kam es in dichtem Nebel zur Katastrophe, die keiner der 96 Insassen des noch zu Sowjetzeiten produzierten Flugzeugs vom Typ Tupolew Tu-154 überlebte. Ob die vierköpfige Besatzung unter Druck gesetzt wurde oder sich selbst unter Druck setzte: Jedenfalls wollte sie die Landung zumindest versuchen, anstatt von vornherein einen Ausweichflughafen anzusteuern wie zuvor eine russische Il-76. Dabei war sich die Crew über ihre tatsächliche Flughöhe nicht im Klaren, bis die Maschine mit Bäumen kollidierte und rücklings zerschellte.

Anders als der russische Abschlussbericht wollte die Miller-Kommission den Piloten aber nicht die Alleinschuld anlasten. Auch die Flutlotsen (die nur Russisch sprachen) seien ihrer Aufgabe nicht gewachsen gewesen und die Bäume in der Anflugschneise hätten beräumt werden können, hieß es.

Tino Künzel

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