Abseits der Utopie: Eine umfangreiche Kunstausstellung zum Revolutionsjubiläum

Ganze drei Jahre haben die Kuratoren die Ausstellung "Nekto 1917" vorbereitet. Sie zeigen, dass Kunst zur Revolutionszeit vielschichtig war. Der übermächtige Bolschewik, der alles niedertrampelt, ist auf den Bildern eher die Ausnahme als die Regel.

Mit roter Flagge: Bolschewik von Boris Kustodiew, 1920. /Foto: Neue Tretjakow-Galerie.

Beim Betreten des großen Saales auf der dritten Etage der Neuen Tretjakow-Galerie blickt man auf ein riesiges Gemälde mit dem Titel „In Russland“, das 1916 von Michail Nesterow vollendet wurde: genau ein Jahr vor der Oktoberrevolution. Es zeigt die vielschichtige Gesellschaft und die Orthodoxie des sich wandelnden Landes. Dabei wird eine Einheit zwischen den verschiedensten Gruppen suggeriert, die vor allem durch die Religion miteinander verbunden scheinen.

Dieses Werk steht beispielhaft für die Ausstellung „Nekto 1917“ (Irgendjemand 1917). Denn anders als man vielleicht erwartet, werden kaum Werke gezeigt, die wirklich die Revolution, den politischen Umsturz, abbilden. Vielmehr geht es um den Zeitgeist und die Wahrnehmung der Künstler im und um das Revolutionsjahr.

Für die Ausstellung haben die Kuratoren Werke aus ganz Europa, hauptsächlich aber aus Russland, zusammengetragen. Insgesamt sind es 117 Gemälde. Das wohl bekannteste Exponat ist das „Friedhofstor“ von Marc Chagall. Es hängt normalerweise im Centre Georges Pompidou in Paris. Möchte man jedoch mehr über Chagall oder die Entwicklung der jüdischen Gesellschaft in Russland während der Revolution erfahren, empfiehlt sich ein Abstecher ins Jüdische Museum, das noch bis Januar die Ausstellung „Kaschdomu po swobode?“ (Freiheit für jeden?) genau zu diesem Thema präsentiert.

Von Agieren bis Negieren

Wesentlich eindeutiger als die Kunst zur Revolutionszeit ist die Aufteilung der Organisatoren, die der Masse an Bildern Struktur gibt: Mythen der Menschen, Stadt und Mensch, Alter in Gesichtern oder Flucht aus der Realität heißen die einzelnen Abschnitte. So zeigen die Kuratoren, wie unterschiedlich die großen Künstler damals auf die rasanten Entwicklungen in Russland reagierten.

Das Bleichen der Leinen von S. E. Serebrjakowa, 1917/Foto: Neue Tretjakow-Galerie.

Zwar werden auch Werke der russischen Avantgardisten gezeigt, die sich für die Revolution begeisterten und sich politisch daran beteiligten, aber diese stehen nicht im Vordergrund. Die Haltung vieler Künstler zur Zeit des Umbruchs lässt sich am besten mit einem Zitat des Künstlers Alexander Benois beschreiben: „In diesen Tagen war ich so vertieft in meine Arbeit, dass mich alle äußeren Ereignisse und sogar Gefahren kaum berührten.“
Viele Werke der Ausstellung sind folglich Stillleben, Landschaften oder Szenarien des städtischen Lebens mit teilweise impressionistischen Elementen. Auch einige Porträts sind in der Ausstellung zu finden, obwohl sich die Porträtmalerei zu dieser Zeit in der Krise befand. Außer einem formverzerrten lebensgroßen Bildnis von Maxim Gorki sind es hauptsächlich namentlich nicht bekannte Zeitgenossen der Künstler.

Terror im Bild

Dass 1917 ein politisches Ereignis von besonderer Wichtigkeit stattfand, merkt man erst im hinteren Teil des großen Saales. Dort befindet sich zum Beispiel die Darstellung „Bolschewik“ von Boris Kustodiew, die normalerweise eine Etage weiter oben hängt. Das Gemälde wurde 1920 fertiggestellt, als der Bürgerkrieg bereits auf den Straßen tobte. Wie unschwer zu erkennen, soll das Bild die Überlegenheit und Brutalität der Bolschewiken darstellen.

Die Zeit des Terrors wurde auch in Zeichnungen und Skizzen festgehalten. Zusammen mit historischem Fotomaterial aus dem Stadtarchiv sind diese Zeugnisse auch in der Ausstellung zu finden.
Natürlich dürfen die Schätze der Tretjakow-Galerie nicht fehlen: Die abstrakten Werke von Kandinsky oder Malewitsch erreicht man gegen Ende des etwa zweistündigen Rundgangs. Gemälde, die ohnehin in der Galerie zu finden sind, wurden um Exponate aus anderen bekannten Museen ergänzt. Auch sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Revolution, denn sie markieren den Aufbruch in die Utopie einer neuen Welt.Bis 14.

Ausstellung „Nekto 1917“

Bis 14. Januar 2018
Neue Tretjakow-Galerie
Ul. Krymskij Wal 10
Metro Oktjabrskaja, Park Kultury
www.tretyakovgallery.ruContent goes here

Nico Tielke

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