„Die Krise war für uns fantastisch“

Der Brite Simon Dunlop möchte von Moskau aus die Welt erobern: Mit dem Online-Bücherdienst Bookmate, dessen CEO Dunlop ist, ist es ihm fast schon gelungen. Die MDZ hat mit ihm über Russland und das Geldverdienen mit Digitalem gesprochen.

Dunlops neue Idee „DI Telegraf“: Coworking im Herzen Moskaus. / DITelegraph

Dunlops neue Idee „DI Telegraf“: Coworking im Herzen Moskaus. / DITelegraph

Herr Dunlop, wann sind Sie nach Russland gekommen und warum?

Bevor ich nach Russland kam, habe ich in Deutschland gearbeitet. Das war 1991, also in der Zeit der Wiedervereinigung. Ich bin in Ostdeutschland viel rumgekommen, in Dresden, Leipzig und Berlin habe ich eine unglaubliche Transformation gesehen und eine eigentlich sehr positive Welle der Energie, eine optimistische und offene Sicht auf die Möglichkeiten. Ich habe gesehen, wie diese Städte gerade erst aufwachten. Das hat mich sehr begeistert. Nach Moskau zu gehen, war dann eine Art natürliche Entwicklung. Erst habe ich sechs Monate in einer britischen Firma gearbeitet, dann sieben Jahre für Philip Morris. Danach habe ich angefangen, meine eigenen Geschäfte aufzubauen.

Mittlerweile haben Sie ja einige IT-Start-ups gegründet. Wie sind Sie zu dieser Branche gekommen?

Wir haben uns Wirtschaftssektoren angesehen, die sehr gut funktionieren sollten, es aber noch nicht taten und viele Störungen aufwiesen. Dann haben wir uns Wege überlegt, wie man diese Sektoren verbessern kann, indem man sich Technologien zu Nutzen macht. Zum Beispiel Musik, was eigentlich ein riesen Wirtschaftszweig sein sollte. In Russland haben zwar viele Menschen online Musik gehört, es gab aber keine Dienste, die das monetarisierten. Das sah nach einer guten Gelegenheit aus. Im Verlagswesen war die Situation ähnlich. Es gab keine wirklich großen nationalen Buchhandel-Ketten, und die Logistik ist in Russland eine große Herausforderung. Bücher waren schwer zu vertreiben, daher wollten wir eine Technologieplattform für Onlineleser entwickeln.

In Russland war man lange gewohnt, alles kostenlos im Internet zu finden. Das hat Sie nicht abgeschreckt?
S. Dunlop

S. Dunlop

Piraterie macht uns nicht wirklich Angst. Wenn die Konkurrenz umsonst ist, zwingt uns das, ein besseres Produkt anzubieten. Besser als „umsonst“ ist man, wenn der Nutzer einen zusätzlichen Wert zu den einfachen E-Books bekommt. Über unsere App kann man zum Beispiel Prominenten folgen, die sich zu Büchern äußern, und dem Buchautor ein direktes Feedback geben. Auf diese Weise erhalten wir Kundenbindung, und das ist es ja, worüber wir uns Gedanken machen müssen.

Wie wirkt sich die Wirtschaftskrise in Russland auf Sie aus?

Die Krise war bisher für uns fantastisch. Gedruckte Bücher wurden teurer, weil viele von ihnen importiert werden. Während manche Bücher 1000 Rubel kosten, kann man bei uns für 250 Rubel im Monat unbegrenzt viele Bücher lesen. Auch gesetzlich wurde zuletzt einiges verbessert. Man hat begonnen, intellektuellen Besitz zu schützen und Strafen für diejenigen eingeführt, die Inhalte illegal herunterladen. Die große Ironie ist ja, dass der freie Zugriff auf enorm viele Raubkopien in Russland fantastische Auswirkungen auf das Online-Leseverhalten hatte. Es hat eine neue Generation geschaffen, die es gewohnt ist, E-Books zu lesen. Wir bieten ihnen einen Übergang zum legalen Lesen.

Welche Vor- und Nachteile bietet der Standort Russland für ein junges Start-up?

Es gibt viele Talente! Man hat also alle Leute vor Ort, die man benötigt, um ein gutes Start-up auf die Beine zu stellen. Allerdings sind die Russen noch unerfahren darin, globale Unternehmen zu entwickeln. Typischerweise sind die hiesigen Start-ups sehr russlandfixiert, wobei sich das momentan verändert. Wir sehen gute Teams, die zum Beispiel nach Berlin gehen. Wegen der Krise ging man dazu über, das Geschäft außerhalb des Landes aufzubauen. Ein Faktor dabei ist wohl, dass die Gehälter in Russland selbst nicht erhöht werden können und dass es fraglich ist, ob man hier für sein Unternehmen später einen Käufer findet. Offensichtlich ist es auch ein großer Vorteil, seine Kostenbasis in Russland zu haben, die Einnahmen aber in Euro, Dollar oder Pfund zu erzielen.

Wie sind die Bedingungen für Gründer in Russland?

Ein Unternehmen in Russland zu gründen, ist einfach, Wachstum zu erzielen ist hingegen schwierig. Ein Grund dafür ist sicher der eingeschränkte Zugang zu Kapital. Das Ökosystem ist nicht ausgereift. Außerdem ist das politische Klima zurzeit ungünstig für grenzübergreifende Entwicklung.

Was würden Sie wirtschaftspolitisch ändern, wenn Sie könnten?

Ich würde den Arbeitskräftefluss begünstigen. Visakontrollen und die Beschaffung von Arbeitserlaubnissen sollten erleichtert werden. Es gibt viel zu tun, um Russland für finanzielle Investitionen aus dem Ausland attraktiv zu machen. Moskau ist ein attraktiver Knotenpunkt zwischen Ost und West. In ein paar Jahren könnte es sich zu einem Standort mit vielen großen internationalen Firmen entwickeln, die sich sowohl auf dem asiatischen Markt positionieren wollen als auch auf dem europäischen. Die Hauptstadt schöpft ihr Potenzial allerdings noch nicht voll aus. Und immer, wenn sich die Situation zu bessern scheint, macht die Regierung einen Strich durch die Rechnung. Mit unserem Coworking-Raum wollen wir Protagonisten aus der IT-Branche zusammenbringen, damit sie ihre Fähigkeiten voll ausnutzen.

Wenn Sie Jungunternehmern einen Rat geben könnten, was würden Sie ihnen ans Herz legen?

Am besten macht man erst mal ein Jahr Pause und reist um die Welt, bevor man sein Unternehmen gründet. Man kann Hippie sein und Surfen lernen oder in einem Start-up in Silicon Valley arbeiten. Andernfalls weiß man später nicht, wer die Kunden sind. Man braucht ein Gefühl für andere Kulturen und idealerweise auch für andere Sprachen.

Das Interview führte Alina Bertels

Info

Dreifacher Dunlop

Simon Dunlop gründete 2010 mit zwei russischen Partnern die Holding Dream Industries (DI). Zu ihr gehören heute neben dem Bücherdienst Bookmate ein vergleichbares Angebot für Musiktitel Zvooq, dessen Nutzerzahl dank Partnerschaften mit den Mobilfunkanbietern wächst und das vor kurzem wieder fünf Millionen Dollar an Investitionen an Land zog. Außerdem bietet DI Coworking-Räume im alten Moskauer Zentraltelegrafen-Bau unweit des Kreml.
Das Angebot ist speziell auf junge IT-Unternehmer zugeschnitten.

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