Jekaterina arbeitet in einer Organisation, die einem Ministerium untersteht. Sie tätigt staatliche Einkäufe. Die Moskauerin bittet, ihren vollen Namen und natürlich die Arbeitsstelle nicht zu nennen, damit man sie nicht identifizieren kann. Sie verhält sich kritisch zu dem, was die Regierung macht. Aber sie fürchtet sich, das offen auszusprechen. Die Frau meint, dass sie eine gute Arbeit und ein gutes Gehalt habe, sie es sich aber im Moment „nicht leisten kann, darauf zu verzichten.“
Drei Freiwilligen
Kürzlich bekamen alle Mitarbeiter ihrer Organisation von ihren Vorgesetzten den Auftrag, die Kontaktdaten dreier Bekannter zu nennen, die garantiert wählen gehen werden. Jekaterina fragte ihre Freunde. Sie bekam einige Absagen, konnte aber drei zusammenbringen. Jedoch nicht alle „Freiwilligen“ passten. Es stellte sich heraus, dass nur Kontakte derjenigen gebraucht werden, die ein persönliches Konto auf dem Portal „Gosuslugi“ haben. Das ist ein Internetportal, welches Personen und Organisationen Zugang zu staatlichen und kommunalen Diensten ermöglicht. Also musste sie weitersuchen.
„Auf der Arbeit wurde nichts dergleichen mit den Kollegen besprochen“, berichtet diese Frau. „Offiziell wurde nicht gesagt, dass nur die Kontakte solcher Personen benötigt würden, die garantiert für Putin stimmen werden. Aber wir nehmen an, dass nur solche in Frage kommen. Offensichtlich ist das eine Art Selbstzensur. Wir haben die Kontaktdaten abgeliefert, man hat überprüft. Das war alles. Ein paar Tage später wurden Plakate ausgegeben mit dem Aufruf, zur Wahl zu gehen. Wir sollten sie an einer gut sichtbaren Stelle anbringen. Ich habe sie im Büro in der Küche aufgehängt. Wir wurden verpflichtet, unsere Stimme abzugeben und nachzuweisen, dass wir gewählt haben.“
Einige Medien berichten
Laut den Umfrageergebnissen des Meinungsforschungsinstituts WZIOM Anfang Februar will der größte Teil der Bevölkerung (75 Prozent) sich an den bevorstehenden Wahlen, die vom 15. bis 17. März stattfinden, beteiligen. 85 Prozent der Bürger Russlands wissen Bescheid, dass Wahlen sind. Davon nannten 81 Prozent den richtigen Monat und weitere 4 Prozent das Jahr.
Über 15 Prozent der Wähler sind Angestellte im öffentlichen Dienst. Mit ihnen wird im Vorfeld der Wahlen wie jedes Mal planmäßig gearbeitet. Die Medien schweigen darüber, aber manchmal sickern Informationen durch. Das Petersburger Investigativportal „Fontanka.ru“ berichtet von Versammlungen in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes in St. Petersburg. Dort erinnerte man den Eingestellten an die Wahlen, an das Jahr der Familie, welches gerade in Russland läuft, und die guten Taten des Präsidenten. Die Internetzeitung zitiert den Direktor einer Einrichtung des öffentlichen Dienstes: „Jeder verantwortungsvolle Bürger und Patriot versteht, dass jetzt die Zeit für die wichtigste Wahl gekommen ist.“
Die Nachrichtenagentur „Zwischen den Zeilen“ in Nischni Tagil (Gebiet Swerdlowsk) schreibt, dass in der Stadt die Erzieher in den Kindergärten und die Lehrer in den Schulen unter Androhung der Entlassung gezwungen werden, Fragebögen mit den Angaben von Bekannten auszufüllen, die zur Wahl gehen wollen.
Über zahlreiche Fälle, in den Regionen Wahlzwang auszuüben, berichtet der Kanal „Vot tak“ (als „ausländischer Agent“ eingestuft). Er zitiert den Politologen Dawid Kankija aus der Bewegung „Golos“ (als „ausländischer Agent“ eingestuft). Der Experte erklärt, dass das dafür getan wird, damit diese Leute ihre Stimme online abgeben. Diese Möglichkeit besteht in 29 Regionen, hauptsächlich dort, wo man Protestwähler erwartet. Der Politologe meint, dass „prinzipiell keine Kontrollmechanismen bei Online-Stimmabgabe vorgesehen sind“. Und die Angestellten des öffentlichen Dienstes gewährleisten außerdem die Illusion der Wahlbeteiligung.
In keinem der beschriebenen Fälle wird davon gesprochen, dass für einen bestimmten Kandidaten gestimmt werden soll. Die Rede ist immer nur davon, dass unbedingt an den Wahlen teilgenommen werden soll.
Vier Namen, eine Wahl
Auf dem Wahlzettel werden vier Namen stehen. Neben dem jetzigen Präsidenten Wladimir Putin (71) sind das Wladislaw Dawankow (40), der Vertreter der Partei „Neue Menschen“, der Kandidat der Kommunistischen Partei Nikolaj Charitonow (75) und der Vorsitzende der Liberal-Demokratischen Partei Russlands Leonid Sluzki (56).
Wenn die Präsidentschaftswahlen Mitte Februar stattfänden, gäben laut der WZIOM-Umfrage 75 Prozent der Wähler ihre Stimme für Putin ab. Für Wladislaw Dawankow werden voraussichtlich 5 Prozent der Befragten stimmen und je 4 Prozent für Charitonow und Sluzki.
In einem der Außenbezirke Moskaus steht eine betagte Dame auf der Straße und telefoniert mit jemandem. „Erklär mir das mal“, sagt sie, „wenn 75 Prozent bereit sind, Putin zu wählen, wie man uns weißmachen will, wozu dann der Zirkus mit den Freunden und Bekannten?“
Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen sind die ersten, die drei Tage andauern. Und es sind die ersten mit der Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe in 29 Subjekten der Föderation.
Olga Silantjewa