„Udmurtisch ist in Mode“

In Russland werden neben Russisch rund 150 weitere Muttersprachen gesprochen. Eine davon ist Udmurtisch. In Udmurtien, einer russischen Teilrepublik zwischen Moskau und dem Ural, kann man sie sogar an der Universität studieren. Wozu das gut ist und auf was für Interesse die Minderheitensprache stößt, darüber spricht Professorin Natalja Ilina im Interview.

Singen auf Udmurtisch: Die „Buranowskije Babuschki“ belegten 2012 mit einer udmurtisch-englischen Folklore-Pop-Nummer beim Eurovision Song Contest den zweiten Platz. © Walerij Melnikow / RIA Novosti

Wie oft hört man heutzutage Udmurtisch in Udmurtien?

In Ischewsk, der Hauptstadt, ist das zum Beispiel bei Konzerten, Festivals und Veranstaltungen verschiedener Klubs der Fall. Ich schätze, dass hier 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung Udmurten sind. Aber meine Eltern leben auf dem Dorf – dort wird im Alltag nur Udmurtisch gesprochen. Ich selbst bin damit aufgewachsen, es ist meine Muttersprache. Allerdings fällt es mir auch nicht schwer, von einer Sprache in die andere zu wechseln. Mit meinen Freunden spreche ich sowohl Russisch als auch Udmurtisch. Diese Zweisprachigkeit bereichert mein Leben. Sie ermöglicht mir, meine Persönlichkeit besser auszudrücken.

Lernen die Kinder Udmurtisch in der Schule?

Ja, als Wahlfach. Da aber in Ischewsk die Mehrheit der Menschen Russisch spricht, wird Udmurtisch mehr außerhalb der Stadt gelernt: in Dörfern und Kleinstädten.

Nimmt das Interesse an der Sprache nach Ihrer Erfahrung eher zu oder ab?

Udmurtisch ist in Mode. Gerade die Jüngeren sind interessiert, auch die nicht-udmurtische Bevölkerung öffnet sich. Man versteht, dass das viele Möglichkeiten birgt. Es hilft auch dabei, sich als Einheimische zu identifizieren, denn die Udmurten gaben unserer Republik ihren Namen, sie lebten hier schon vor langer Zeit.

Wie alt ist Udmurtisch denn ungefähr?

Es gibt Untersuchungen, dass Udmurtisch im frühen Mittelalter etwa 70 Prozent seines Wortschatzes mit der Komi-Sprache gemeinsam hatte und sich dann von ihr abgetrennt hat. Die erste udmurtische Grammatik wurde 1775 veröffentlicht.


In Russland gibt es 22 sogenannte Nationalrepubliken. Udmurtien gehört mit 1,5  Millionen Einwohnern zu den größeren. Die letzte Volkszählung von 2010 ergab, dass die udmurtische Sprache noch von etwa 325.000  Menschen gesprochen wird – fast einem Drittel weniger als noch 2002. Udmurtisch ist in Udmurtien neben Russisch Amtssprache. Es gehört, wie unter anderem auch Ungarisch und Estnisch, zu den finno-ugrischen Sprachen. Eine Besonderheit: Es gibt 15 Fälle.


Sie unterrichten an der Udmurtischen Staatlichen Universität in Ischewsk. Wie viele Studenten hat Ihre Fakultät für Udmurtisch?

Etwa 200 in Bachelor und Master zusammen. Aber auch in anderen Instituten unserer Universität wird Udmurtisch unterrichtet, beispielsweise in den Fächern Geschichte, Kunst oder Sprache und Kultur. Die meisten studieren Udmurtisch im Hauptfach.

Was wird man eigentlich, wenn man Udmurtisch studiert hat?

Man kann beispielsweise als Lehrer oder Journalist oder im kulturellen Bereich arbeiten. Unter den Absolventen haben wir auch Sänger, Dichter und Autoren. Viele werden jedoch Lehrer in Kindergärten, Grundschulen oder weiterführenden Schulen.

Zu guter Letzt: Wie verabschiedet man sich auf Udmurtisch?

Wir sagen „Dgedsch lue“ im Plural. Wenn du nur mit einer Person sprichst, ist es „Dzetsch lu“. Es sind also zwei Wörter. „Dzetsch“ bedeutet gut und „lu“ bedeutet Gehen – aber auch Bleiben. Wir sagen also: Bleib gut!

Das Interview führte Thoya Urbach.

Selbstverbrennung aus Sorge um Ethnie und Sprache

Im Zentrum von Ischewsk zündete sich am 10. September der „Verdiente Wissenschaftler der Udmurtischen Republik“ Albert Rasin an, um auf die, wie er fand, drohende Auslöschung der udmurtischen Ethnie und Zurückdrängung der udmurtischen Sprache aufmerksam zu machen. Wenig später starb der 79-Jährige im Krankenhaus an seinen schweren Brandverletzungen. Ein vor seinem Tod verfasstes neunseitiges Schreiben enthält Maßnahmen, die er für unabdingbar hielt, um die udmurtische Sprache zu bewahren und die Nationalitätenpolitik zu korrigieren. Am Ort seines Protests blieb ein Transparent mit einer Gedichtzeile zurück: „Und wenn morgen meine Sprache stirbt, so bin ich bereit, heute zu sterben.“

Entsetzt war Rasin vor allem von einer im Sommer 2018 beschlossenen Änderung des russischen Sprachengesetzes gewesen. Seitdem lernen Schulkinder in den Nationalrepubliken nicht mehr verpflichtend die Sprache der dortigen Titularnation, wie das bisher der Fall gewesen war, sondern eine „Muttersprache“. Das kann auch Russisch sein, welches ohnehin obligatorisch unterrichtet wird. Bei einer Entscheidung für Russisch im Fach Muttersprache erhöht sich diese Stundenzahl einfach. Alternativ kann eine nichtrussische Muttersprache erlernt werden, in Udmurtien also Udmurtisch. Vor allem ethnisch russische Kinder werden das allerdings viel weniger tun als bisher. Wie es sich mit den anderen Nationalitäten verhält, muss sich noch zeigen.

Rasin befürchtete jedenfalls, dass speziell in jenen Nationalrepubliken, in denen die Titularnation nur eine Minderheit darstellt, wie etwa in Udmurtien, der Stellenwert ihrer Muttersprache weiter sinkt und diese selbst von den Vertretern der Minderheit immer weniger gesprochen wird – der Todesstoß für die Ethnie selbst. Außerdem beklagte er in Briefen an Volksvertreter in Ischewsk und Moskau das Verschwinden udmurtischer Dörfer und den geringen Anteil an Udmurten in der Führung der Region.

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