Endstation für einen Außenseiter?

Unter Moskaus Fernbahnhöfen hat er schon lange eine Sonderrolle. Vom Rigaer Bahnhof fährt zurzeit nur ein einziger Nachtzug, ansonsten herrscht hier gespenstische Stille. Bald könnte nach 120 Jahren ganz Schluss sein.

Dampfzug am Rigaer Bahnhof
Der Rigaer Bahnhof wird gerne für Nostalgiefahrten benutzt. (Foto: Jewgenij Bijatow/ RIA Nowosti)

Wer heute in die majestätische Halle des Empfangsgebäudes eintritt, der sieht in aller Regel mehr Sicherheitspersonal als Fahrgäste. Keine Zeitschriften, keine Souvenirs, keine Piroggen, es gibt lediglich ein paar Snacks am Automaten. Von den Fahrkartenschaltern hat auch nur einer offen, Kundschaft gibt es nur selten, der Warteraum ist verschlossen. Der im neobyzantinischen Stil errichtete Prachtbau des Rigaer Bahnhofs dient zurzeit der Abfertigung eines einzigen Nachtzugs. Der fährt meist nach Welikije Luki, an manchen Tagen weiter nach Pskow und an anderen überhaupt nicht. Der tägliche Zug nach Riga ruht, wie der gesamte internationale Personenzugverkehr, seit Beginn der Corona-Pandemie.

Unter den Moskauer Fernbahnhöfen nimmt der Rigaer Bahnhof schon lange eine Sonderstellung ein. Die 1901 eröffnete Station liegt deutlich weiter draußen und ist nicht wie die anderen mit der Ringlinie der Metro zu erreichen. Ganze zwei Gleise liegen hier.

Fernbahnhof mit familiärer Atmosphäre

Schon zu Sowjetzeiten ging es etwas ruhiger zu, wie sich unser Chefredakteur Igor Beresin erinnert: „Seit 1983 fuhren wir regelmäßig aufs Dorf, wo wir ein Bauernhaus gekauft hatten. Schon damals gab es nur wenige Züge, den nach Riga und den „Welikolukskij“, der an jeder Ecke hielt. Mit diesem fuhren wir bis zur Station Sapadnaja Dwina. Ich hatte immer das Gefühl, dass mir alle Menschen, die dort am Bahnhof stehen, irgendwie bekannt sind. So etwas gab es an keinem anderen Bahnhof in Moskau.“

Mittlerweile ist es auch im Nahverkehrsteil des Rigaer Bahnhofs recht ruhig geworden. Seit vor etwa einem Jahr die S-Bahn MZD eröffnet wurde, fahren die meisten Elektritschkas weiter zum Kursker Bahnhof. Nur noch etwa 15 Züge enden täglich an der Station, die vom Fernbahnhof räumlich getrennt ist und zwei eigene Gleise sowie ein eigenes Gebäude hat.

Provisorium für die S-Bahn

Ende November tauchte nun auf dem Fachforum „Rail-Club.ru“ eine Meldung auf, die viele als das nahende Ende des Rigaer Fernbahnhofs auffassen: Der Fahrkartenverkauf soll Anfang März eingestellt werden. Der verbliebene Zug wird von da an vermutlich vom Belarussischen Bahnhof aus fahren. Im Fahrplan ist er zum letzten Mal am 24. Februar verzeichnet.

Der Grund dafür sind Bauarbeiten. Die MZD-Strecke zum Kursker Bahnhof wird auf vier Gleise erweitert. Dazu muss sie hin und wieder gesperrt werden. Die MZD-Züge müssen dann alle am Rigaer Bahnhof enden und wieder zurückfahren. Dazu werden die Gleise des Fernbahnhofs gebraucht. Es entsteht momentan sogar ein provisorischer Bahnsteig aus Holz. Der Zug nach Welikije Luki wäre da nur im Weg.

Ist die Schließung nur vorübergehend?

Doch wie geht es dann weiter? Alexander Tschekmarew von der Moskauer Universität für Verkehrswesen (MIIT) geht davon aus, dass der Zug nach Abschluss der Bauarbeiten wieder zurückverlegt wird, wie er gegenüber der MDZ mitteilt. Die Ausweichroute sei länger und unattraktiv für die Fahrgäste.

Im Internet befürchten viele jedoch das Ende des Bahnhofs, zumal nicht bekannt ist, ob und wann die Lettischen Eisenbahnen den Zug nach Riga wieder in Betrieb nehmen. Eine Online-Petition zur Rettung des Rigaer Bahnhofs hatte im Januar jedenfalls bereits knapp 5000 Unterzeichner.

Jiří Hönes

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