Lebkuchen, Floh und Ziehharmonika

Für einen Tagesausflug von Moskau aus sind nicht nur die Städte des „Goldenen Rings“ bestens geeignet. Auch Tula hat viel zu bieten und in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen, unter anderem durch eine neue Uferpromenade.

Die Kasaner Uferpromenade in Tula und drei von neun Türmen des Tulaer Kremls (Foto: Olga Silantjewa)

„Wenn Sie ungefähr fünf Jahre nicht in Tula waren, so werden Sie es nicht wiedererkennen“, sagt uns die Reiseführerin Tatjana am Beginn ihrer Ausführungen über die Stadt. Wie stehen am Samowar-Museum. Das war übrigens vor hundert Jahren das Karl-Marx-Haus, in dessen Nähe ein Denkmal für den deutschen Philosophen steht. Vor uns liegt der zentrale Platz Tulas, der Leninplatz, dahinter steht der Tulaer Kreml. Wir befinden uns inmitten vieler Familien und Reisegruppen, die für diesen Septembertag individuelle und Gruppenbesichtigungen der Stadt gebucht hatten.

Seit 2019 ist der Touristenstrom in das Tulaer Gebiet um das Anderthalbfache gewachsen. Im vergangenen Jahr besuchten circa 1,5 Millionen Touristen das Gebiet Tula. Hauptziele der Reisenden sind vor allem Tula, der Landsitz Lew Tolstois in Jasnaja Poljana (17 km von Tula entfernt) und das Städtchen Beljowo (114 km weg von Tula). Der größte Teil der Besucher kommt aus Moskau und dem Moskauer Gebiet. Wir besuchten einen Workshop zur Herstellung von Tulaer Lebkuchen, dem wichtigsten Symbol Tulas nach dem Samowar. Es nahmen 25 Personen teil. Die Moderatorin fragte, wer woher käme. Es stellte sich heraus, dass alle aus Moskau angereist waren. Von der Hauptstadt bis nach Tula sind es 180 Kilometer. Die Straße ist gut, so dass man für die Entfernung zwei bis zweieinhalb Stunden braucht, wenn es gelingt, ohne Staus aus Moskau herauszukommen.

Reiseführerin Tatjana erzähl über das Tulaer Abc (Foto: Olga Silantjewa)

Der Tulaer Kreml

Wir gehen an den Mauern des Tulaer Kremls entlang. Er hat die Form eines gleichschenkligen Dreiecks mit neun Türmen. An dieser Stelle wurde am Ufer der Upa zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Festung errichtet, um den Zugang nach Moskau von Süden her zu sichern, der von der Krimhorde bedroht wurde. Aus Steinhäusern erbaute man 1520 die Stadt. Vor drei Jahren feierte der Tulaer Kreml sein 500-jähriges Bestehen. Dazu hatte er sich herausgeputzt.

Im Tulaer Kreml (Foto: Olga Silantjewa)

Die Bewohner verbinden die Veränderungen in Tula mit dem Gouverneur Alexej Djumin. Er kam 2016 nach Tula. Vorher war Djumin Chef des Personenschutzes von Wladimir Putin. 2017 zählte man ihn zu den drei möglichen Nachfolgern des russischen Präsidenten. „Wir Tulaer geben Djumin nicht her, wir brauchen ihn selbst“, erzählt die Reiseführerin Tatjana.

Die Kasaner Uferpromenade

Einen starken Impuls für die Entwicklung des Tourismus bedeutete die Rekonstruktion der Kasaner Uferpromenade direkt an den Mauern des Kremls. Heute ist es schwer vorstellbar, dass die Uferpromenade, die vor fünf Jahren, im September 2018, eingeweiht wurde, ein geschlossenes Gelände der Tulaer Waffenschmiede war. Im Zuge der Rekonstruktionsarbeiten wurde der Fluss Upa gesäubert und mit Wasser gefüllt. Am Ufer legte man einen Landschaftspark an, es entstanden Spiel- und Sportplätze und Cafés. Der Eingang in den Kreml von der Uferpromenade aus wurde geöffnet.

Damals veränderte auch die Straße, die zu einer weiteren Kremlmauer führt, ihr Aussehen, die Straße der Metallarbeiter. Im 18. Jahrhundert säumten sie Kaufmannshäuser, aber in den 2000er Jahren war sie in keinem guten Zustand. Hier ist jetzt das Museumsviertel. In den alten restaurierten Häusern haben Museen, Cafés und Souvenirläden ihren Platz gefunden.

Tulaer Handwerker auf der Strasse der Metallarbeiter (Foto: Olga Silantjewa)

Das Floh-Museum

Im Mai ist in dieser Straße das Museum des stählernen Flohs, das Nymphosorium, eröffnet worden. Das wichtigste Exponat kann man unter dem Mikroskop betrachten. Den Floh hat der ortsansässige Meister Nikolaj Aldunin beschlagen. Damit wiederholte er die Tat des Linkshänders, des Helden der gleichnamigen Erzählung Nikolai Leskows aus dem Jahre 1881.

Der Geschichte nach war der Linkshänder einer von drei Tulaer Meistern, die den von den Engländern hergestellten Stahlfloh beschlagen konnten. Der Linkshänder hat die Hufnägel dafür eigenhändig geschmiedet. Samt Floh wird er nach England expediert. Dort erfährt er, dass die Fachleute in England allesamt ordentlich gekleidet sind und sogar beruflich fortgebildet werden. Die Engländer erkennen das Talent des Gastes und wollen ihn behalten. Aber der Tulaer Handwerker bekommt Heimweh und kehrt zurück. In St. Petersburg kommt er in einem Krankenhaus unter, in dem Sterbende unbekannten Standes liegen. Das neue Museum in Tula hilft nun, zwischen den Zeilen in Leskows Text zu lesen.

Stadt der Museen

In Tula gibt es etwa 50 Museen. Die Region mit seinen 150 Museen gehört zu den „großen drei Museumsregionen des Landes“, nach Moskau und St. Petersburg. Eines der bekanntesten Museen der Stadt ist das fünfstöckige Waffenmuseum. Vor 150 Jahren hat es der Direktor der Waffenschmiede Wladimir von Notbeck eröffnet. Heute ist vor dem Museum eine große Anzahl von Technik ausgestellt, die bei der „militärischen Sonderoperation“ zum Einsatz kommt. Ein bedeutender Teil davon wird in Tula hergestellt. Zu Beginn dieses Jahres produzieren im Gebiet Tula 66 Betriebe des Verteidigungswesens.

Denen, die der Meinung sind, es sei jetzt nicht die Zeit, Kanonen anzuschauen, kann das Museum „Opa Filimons Ziehharmonikas“ empfohlen werden. Es befindet sich in zwei Minuten Fußweg vom Kreml. Während der Besichtigung kann man lauschen, wie die Ziehharmonikas aus Tula, Saratow, Nischni Nowgorod und vielen anderen Städten klingen. Hier spielt man sogar auf einem Stiefelschaft!

Tulaer Lebkuchen, heiß und frisch aus dem Ofen (Foto: Olga Silantjewa)

Selbstverständlich kann man aus Tula nicht abreisen, ohne einen Lebkuchen gekauft, oder noch besser, einen mit eigenen Händen angefertigt zu haben. Die Reiseführerin Tatjana sagt, die besten Workshops gäbe es im Lebkuchenmuseum im Kreml. Jetzt empfehlen auch wir die Meisterklasse! Sie backen selbst einen Lebkuchen, probieren ihn gleich heiß und frisch und hören dabei die Geschichten. Zum Beispiel darüber warum man den Tulaer Lebkuchen nur in Tula backen kann. Danach sollten Sie unbedingt hierher zurückkehren, und das nicht nur für einen Tag. Am eigenen Leibe erprobt!

Olga Silantjewa

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