Gelöscht und gesperrt: Künstler zensieren sich gleich selbst

Noch herrschte allgemeine Verunsicherung, was die Deklarierung der „internationalen LGBT-Bewegung“ als „extremistisch“ durch Russlands Oberstes Gericht am 30. November wohl in der Praxis bedeuten werde, da lieferten Nachrichten eine erste Vorahnung von der neuen Realität. Drei Beispiele.

t.A.T.u. auf einem Foto von 2003 – dem Jahr, als sie für Russland beim Eurovision Song Contest antraten. (Foto: Wikipedia)
  • Ein Gericht in St. Petersburg hat den TV-Musikkanal AIVA am 1. Dezember zu einer Geldstrafe von 500.000 Rubel (5000 Euro) verurteilt. Er hatte im Abstand von einem Monat zweimal ein Video des russischen Interpreten Sergej Lasarew von 2017 abgespielt. In dem Clip zum Song „Tak krassiwo“ (So schön) sind verliebte Paare zu sehen, darunter auch zwei Händchen haltende Frauen. Die „zärtliche Berührung der Hände“ wertete das Gericht als verbotene „LGBT-Propaganda“. Der Fall steht zwar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entscheidung des Obersten Gerichts, passt aber gut in die Zeit. Nach dem Urteilsspruch löschte Lasarew, der Russland 2016 und 2019 beim Eurovision Song Contest vertreten und jeweils Platz drei belegt hatte, das Video kommentarlos von seinem Kanal auf Youtube und nahm ihn auch von seiner Webseite.
  • Auf dem offiziellen Account des Duos t.A.T.u. im sozialen Netzwerk VKontakte haben die Seitenadministratoren Anfang Dezember „aufgeräumt“. Seitdem finden die über 120.000 Follower dort weder Videos, Songs und Fotos noch irgendwelche News vor. Nur rund ein Dutzend Fanartikel können noch angeklickt werden, darunter eine alte (russische) Bravo-Ausgabe. t.A.T.u. gilt als international erfolgreichstes russisches Musikprojekt überhaupt. Julia Wolkowa und Jelena Katina imitierten bei ihren Shows eine lesbische Beziehung – bekanntermaßen eine PR-Idee der Produzenten. Ihre erfolgreichste Zeit hatten sie nach der Jahrtausendwende. Die Teilnahme am Eurovision Song Contest endete 2003 mit dem dritten Platz. Später gingen Wolkowa und Katina auseinander, kamen aber für bestimmte Anlässe immer wieder zusammen. So traten sie etwa bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi erneut gemeinsam auf. Ihr Hit „Nas ne dogonjat“ (Not Gonna Get Us) war gleichzeitig die Titelmelodie für den Einmarsch der russischen Mannschaft ins Stadion.
  • Der St. Petersburger Schwulenclub Central Station gab Anfang Dezember seine Schließung bekannt. Der Vermieter habe den weiteren Betrieb untersagt, hieß es in der Mitteilung auf Telegram.

Tino Künzel

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