Das Orbitalobservatorium Spektr-RG war am 13. Juli 2019 vom Kosmodrom Baikonur gestartet. An Bord befinden sich zwei Röntgenteleskope: das russische ART-XC, konstruiert am Weltraumforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften, und eROSITA, entwickelt vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Deutschland. Ein Abkommen zwischen der Raumfahrtagentur Roskosmos und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zur Zusammenarbeit bei diesem Projekt war im August 2009 unterzeichnet worden. Das Observatorium trat am 21. Oktober 2019 in seine Arbeitsumlaufbahn in der Nähe des Lagrange-Punktes L2 ein, der 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist. Am 8. Dezember 2019 schaltete es in den Scanning-Modus.
Vier Himmelsscans vor Ruhezustand
Das Hauptziel der Mission ist die bisher weitreichendste Durchmusterung des gesamten Himmels sowie die Erstellung der detailliertesten Karte des Universums im Röntgenbereich. Die Teleskope sind auf unterschiedliche Spektralbereiche eingestellt und sollten sich gegenseitig ergänzen: eROSITA erfasst „weiche“ Röntgenstrahlung, ART-XC dagegen „harte“ Röntgenstrahlung. Vieles von dem, was das eine nicht sieht, sieht das andere.
Bis März 2022 hatte das Observatorium vier von ursprünglich acht geplanten vollständigen Scans der gesamten Himmelskugel durchgeführt. Doch am 26. Februar 2022, zwei Tage nach Beginn der russischen „Sonderoperation“, gab die deutsche Seite bekannt, dass sie ihr Teleskop in den Schlafmodus versetzt. Es ist zwar an die Stromversorgung angeschlossen, nimmt aber keine Beobachtungen vor.
Russische Seite macht weiter
Die russischen Wissenschaftler mussten daraufhin das Programm der Mission dringend überdenken. Raschid Sjunjajew, der wissenschaftliche Leiter des Spectr-RG-Projekts, schätzte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Interfax die Aussichten des Observatoriums unter den neuen Bedingungen wie folgt ein: „Es funktioniert und liefert jeden Tag einen soliden Strom neuer wissenschaftlicher Informationen. Wir sind sehr zufrieden. Mit eROSITA wäre es einfach fabelhaft, so wie es in den 2,5 Jahren davor.“
Im März 2023 erklärte DLR-Chef Walther Pelzer auf der Jahrespressekonferenz noch einmal, dass das DLR die Zusammenarbeit mit der russischen Seite im eROSITA-Projekt nicht fortsetzen wolle. Wie zu erwarten, hat sich die Situation seitdem nicht geändert.
Riesige Datenfülle
Am 1. Februar 2024 wurde nun der Katalog der ersten Durchmusterungen des Himmels durch eROSITA veröffentlicht. Demnach wurden bei den Beobachtungen rund eine Million hochenergetischer kosmischer Quellen entdeckt: Supernovaüberreste, schwarze Löcher, Neutronensterne sowie das heiße interstellare Gas der Milchstraße und anderer Galaxien. „Das sind überwältigende Daten für die Röntgenastronomie“, sagte Andrea Merloni, leitender Wissenschaftler von eROSITA und Erstautor des eROSITA-Katalogs. „Wir haben in sechs Monaten mehr Quellen entdeckt als die großen Flaggschiff-Missionen XMM-Newton und Chandra in fast 25 Jahren.“
Drei weitere Kataloge werden folgen. Höchstwahrscheinlich wird eROSITA nie wieder aus seinem verordneten Ruhezustand erwachen. Doch die bereits gesammelten Daten würden, so Raschid Sjunjajew, Wissenschaftler noch viele Jahre beschäftigen. Zusammen mit den fortlaufenden Daten von ART-XC werden sie es ermöglichen, die Detaillierung der bereits jetzt einmalig detaillierten Himmelskarte noch um ein Vielfaches zu erhöhen.
Alexej Karelski