Wäre alles nach Plan gegangen, hätte man sich an das Bild der schwarz-grauen E-Boote auf der Moskwa längst gewöhnt. Schon zum 1. Juli vorigen Jahres sollten die ihren Betrieb aufnehmen. Doch weil die Reederei Wodochod, die sie baut, betreibt und wartet, aus bekannten Gründen ohne westliche Bauteile auskommen musste, konnte sie den Termin nicht halten. Nun soll es ein Jahr später so weit sein.
Der auf 15 Jahre ausgelegte Vertrag der Stadt mit Wodochod sieht vor, dass die Firma bis Ende 2014 insgesamt 21 Wassertaxis liefert. Hergestellt werden sie auf einer Werft in St. Petersburg. Außerdem zeichnet Wodochod auch für den Bau von 23 schwimmenden Anlegestellen im Stadtgebiet verantwortlich.
Start mit zwei Linien
Der Linienverkehr soll zunächst mit neun Booten und auf zwei Strecken beginnen. Die eine führt westlich des Stadtzentrums vom Park Fili zum Kiewer Bahnhof und umfasst elf Haltestellen auf 12,5 Kilometern. Die andere deckt den dichtbesiedelten Südosten zwischen der Awtosawodskaja-Brücke und dem Stadtteil Petschatniki ab. Dort verteilen sich zehn Haltestellen auf acht Kilometer. Das soll nur der Anfang sein.
Bei der Stadt rechnet man fürs Erste mit 15.000 bis 16.000 Fahrgästen am Tag. Es wird erwartet, dass das neue Nahverkehrsmittel in erster Linie von Anwohnern jener Stadtviertel genutzt wird, die sich unmittelbar an der Moskwa befinden. Im Vergleich zu Bus oder Bahn könnten sie auf der Strecke bis zu einer Stunde Fahrzeit sparen, argumentieren die Behörden.
Wassertaxis für 50 Fahrgäste ausgelegt
Die E-Boote haben eine Länge von 22 Metern und ein Fassungsvermögen von 50 Passagieren. Ausgestattet sind sie mit Panoramafenstern, Stellplätzen für Fahrräder oder E-Roller, USB-Anschlüssen, Wi-Fi und Tischen für die Arbeit mit dem Notebook. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 22 Kilometern pro Stunde. Der Betrieb ist zu jeder Jahreszeit möglich. Im Winter wird den Booten bei Bedarf ein kleiner Eisbrecher zur Seite gestellt.
Beispiele für Linienverkehr auf Flüssen und anderen Gewässern gibt es weltweit, von Kopenhagen bis Istanbul und von Tokio bis New York. Meist wird in diesem Zusammenhang von Wassertaxis oder Wasserbussen gesprochen. In Russland hat sich die Bezeichnung Flussstraßenbahn eingebürgert.
Geschichte des Nahverkehrs auf dem Wasser
Die modernen E-Boote haben auf den ersten Blick wenig gemein mit den alten sowjetischen Dieselschiffen vom Typ „Moskwa“, die bis heute als Ausflugsdampfer in Moskau ihren Dienst verrichten. Doch sie erfüllten einst denselben Zweck wie die neue Generation der Wassertaxis. Nahverkehr auf der Moskwa ist nämlich keine Erfindung der heutigen Zeit. Schon 1923 brachten erste Boote die Moskauer von A nach B. Einen besonderen Aufschwung erlebte dieser Verkehr in den 1950er und 1960er Jahren. In der Spitze gab es mehr als 40 Anlegestellen an der Moskwa und am Moskaukanal. Mit dem Ausbau des Metro- und Busnetzes verlor dieses Verkehrsmittel später an Bedeutung. Nachdem der Staat die Subventionen einstellte, verschwand es 2006 ganz. Bis jetzt.
Tino Künzel
UPD: Am 20. Juni wurde der Verkehr auf der ersten Linie aufgenommen. Sie hat eine Länge von 6,5 Kilometern und reicht von der Anlagestelle am Kiewer Bahnhof bis zur Wohnanlage Serdse Stolizy (Herz der Hauptstadt) weiter westlich. Die Mitfahrt kostet wochentags 150 Rubel (1,60 Euro) und damit das Dreifache eines Metro-, Bus- oder Bahntickets. Bis zum 1. September verdoppelt sich am Wochenende der Preis, anschließend gilt der 150-Rubel-Tarif auch samstags und sonntags. Eine zweite Linie soll noch im Laufe des Jahres eröffnet werden.