Adelstochter mit Nachbrenner

Die nächste Folge unserer Reihe „Meister und Magnete“: Diese Deutsche war eine der wichtigsten Medienmacherinnen Russlands. Doch auch nach dem Rückzug des Axel-Springer-Verlags ist für Regina von Flemming noch lange nicht Schluss in Russland.

Meister und MagneteRussland ist ja riesig und Moskau ist der mit Abstand größte Schmelztiegel unseres Kontinents, ein Magnet für Menschen aller Couleur, mit ungewöhnlichen Talenten, mit erstaunlicher Schaffenskraft. Manche bringen es nach oben, manche bleiben unten. Die meisten mittendrin. Unser Autor Frank Ebbecke stellt sie hier vor. Heute: Regina von Flemming.

 

 

Regina von Flemming auf der Moskauer Feier des 100-jährigen Jubiläums von Verlagsgründer Axel Springer im Jahr 2012 / RIA Novosti

Regina von Flemming auf der Moskauer Feier des 100-jährigen Jubiläums von Verlagsgründer Axel Springer im Jahr 2012 / RIA Novosti

Eng bedruckt und sieben A4-Seiten lang. Dabei ist das nur der berufliche Lebenslauf der Regina von Flemming. Ihre privaten Ereignisse hinzugenommen, wäre der leicht doppelt so lang. Es gibt Menschen, die stehen eben dauernd unter Strom. Schwer, mit denen mitzuhalten.

Sie tritt nicht einfach in einen Raum, sie erfüllt ihn gleich. Übernimmt die Gesprächsführung. Unterbrechungen kommen eher etwas ungehalten an. Nun, sie hat ja auch tatsächlich viel zu sagen, schöpft reichlich aus Herkommen und Erfahrung. Eine starke Frau. Obgleich dann natürlich doch nicht stark genug, sich gar gegen russisch-nationale Wirtschaftsinteressen durchzuboxen. Nämlich als die Staatsführung 2014 beschlossen hatte, ausländische Firmeneignerschaft im Mediengeschäft auf 20 Prozent zu beschneiden. Nein, dafür hatte sie den russischen Ableger des Axel-Springer-Verlags mit etlichen internationalen Drucktiteln hierzulande nicht über volle zehn Jahre hochgezogen. Ihre 300 Mitarbeiter waren wie Familie, zumindest wie enge Freunde. Sie war über allem und allen und überall mittendrin: „Die schönste Zeit meines Lebens.“

Fehlt ihr das? Nun, nicht wirklich. Darben muss sie jedenfalls nicht, denn heute, als Außerordentliche Direktorin und Aufsichtsratsmitglied des Moskauer Telekommunikationsgiganten MTS, rollt der Rubel munter weiter. Langweilig wird ihr auch wohl kaum. Eher ehrenamtlich, aber mindestens ebenso gerne, betrachtet sie ihr Engagement für die jüdische Gemeinschaft in der russischen Hauptstadt. Erst im Mai dieses Jahres wurde sie ins Fundraising Kuratorium des Jüdischen Museums, das als eines der beachtlichsten der Welt gilt, berufen. Als Deutsche. Und einer neuen Traumbeschäftigung höchstpersönlicher Natur hat sie sich auch schon verschrieben: Geschichten erfinden, aus denen dann Drehbücher erwachsen und sich Filme machen lassen. Der erste ist bereits abgedreht – in den USA – und kommt demnächst in die Kinos: über die Manipulation der Finanzmärkte durch Cyberattacken. Mehr will sie nicht verraten. Ein zweiter Plot schwirrt schon in ihrem Kopf herum. Über die wahren Verzweigungen und Verwicklungen in der berühmt-berüchtigten russischen Oligarchenriege, so etwas wie „Der Pate“. Nein, nur Arbeiten reicht der lebenslustig-umtriebigen Regina nun wirklich nicht. Inzwischen hat sie auch die Segelscheine für Binnengewässer und Hochsee gemacht. Und die Motorrad-Fahrerlaubnis in der Tasche. Hauptsache, immer in schneller Bewegung.

Foto: privat

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Aber ganz so steil und hurtig ging es dann anfangs doch nicht los. Erstmal in ihrer norddeutschen Heimat als Praktikantin beim „Ostholsteinischen Anzeiger“. Dann PR-Trainee bei einer internationalen Werbeagentur in Hamburg. Auf energisches Drängen ihres Vaters nach einer soliden Lehre hat sie bei Klöckner in Duisburg eine Großhandelslehre gemacht. Aber statt im industriell-grauen Ruhrgebiet wurde im schniekeren Düsseldorf gewohnt. Unweit der gerühmten Kunstakademie. Die sozialen Kontakte von dort schärften Sinn und Gefühl fürs gehoben Malerische und Kunstfertige. Das ließ sie nicht mehr los. Sämtliche Wände ihrer Moskauer Wohnung sind heute geradezu gepflastert mit zeitgenössischen Orginalwerken der russischen Moderne. Von Öl bis Fotografie – letztere auch ein spannendes Kaleidoskop von ihren zahllosen Recherchetrips quer durch das russische Riesenreich. Denn journalistisch aktiv sein, das wollte sie schon spätestens mit 16. „Mein Kindheitsmantra.“ So wie die Reporter in „Weltspiegel“ und „Auslandsjournal“, ihren Lieblingssendungen im deutschen Fernsehen. Möglichst von Peking oder Moskau aus.

Doch zunächst folgte nach den Lehrjahren ein wahrer Parforceritt durch Universitäten, wissenschaftliche Institute, die Mitarbeit in angesehenen Redaktionsbüros im In- und Ausland. Nach Studien und Tätigkeiten in Paris, Berlin und Peking blieb sie tatsächlich dann 1997 in Moskau hängen. Und machte rasant Karriere. Als Wegbereiterin für eine namhafte deutsche Firma aus der Telekommunikationsbranche, die wie so viele andere in den 90ern auf den nun weit offenen russischen Markt drängten. Und in verschiedenen Managementfunktionen bei internationalen Unternehmensberatungen. Der Axel-Springer-Verlag war ihr letzter Kunde. Ab 2005 war sie dessen gesamtverantwortliche Statthalterin. Jetzt endlich konnte sie beide beruflichen Leidenschaften ideal verbinden: journalistische Kreativität und gewinnbringenden Kommerz.

Moskau war ja schon immer ihr Ziel gewesen. 1989 hatte es zum ersten Mal geklappt, als freie Junior-Korrespondentin für Spiegel TV sowie die Sender RTL und Sat.1. Dort kam sie dann auch schnell dem Einheimischen Pawel nahe, einem freien Fotografen. Doch nicht gerade für ewig. Denn eines Tages am Flughafen Scheremetjewo: Noch beim rückwärtsgewandten Ade-Winken zu Pawel vor dem Heimflug trat sie jemandem versehentlich auf die Füße, drehte sich entschuldigend um und Pawel war Geschichte. Der Getretene war Anton, ein Engländer jüdischer Herkunft, in Diensten der russischen Niederlassung einer globalen Mineralölfirma. Liebe auf den ersten Blick – kann wohl passieren. 1996 aber war es damit dann auch vorbei. Kinder? Hätte sie echt gern gehabt. Aber dann waren Beziehungen und Umstände schnelllebig vorbeigerauscht. Nun, wenn schon keine eigenen, hat sie gleich acht Patenkinder, einige davon aus ehemaligen Mitarbeiterfamilien. Ein äußerst fruchtbares Betriebsklima hat sie wohl ohnehin geschaffen. In ihrer zehnjährigen Wirkungszeit bei Springer erblickten nicht weniger als 48 Babies die Welt, sagt sie und lacht.

Lachen kann sie gut. Zum Beispiel, als sie ihrem sie begleitenden Vater in Südafrika – seit mehr als 15 Jahren ihr ganz persönliches Jahresend-Paradies – als Sonnenschutz eine Kappe in den Regebogenfarben gleichgeschlechtlich Interessierter kaufte. Und der gar nicht wusste, was er da trug. Ein bisschen aus ihrem schnellen Tritt geraten, schaut sie versonnen auf ein Foto des bereits Verstorbenen. War da nicht sogar eine kleine Träne im Auge? Ja, ihr Vater, der war ihr nahe. Und ist immer noch Vorbild. Aus uraltem Adelsgeschlecht mit etlichen Besitztümern um das hinterpommersche Camin. Er war gerade 16, als er sich gegen Ende des Krieges an die Spitze eines Flüchtlingstrecks setzen musste. Aus der seit mehr als 900 Jahren angestammten Familienheimat gen Westen: „Die Russen kommen.“ Vorbei mit dem adelsbetonten Landleben, raus aus den Wäldern, Feldern und Seen der Altväter. Er schaffte es bis in die Gegend um Eutin im Schleswig-Holsteinischen. Einmal Landmann, immer Landmann. Dort fand er schließlich eine verantwortliche Beschäftigung in einem Saatgutbetrieb. Aber es scheint, er blieb genauso ein wirklich Nobler. Für die Leute im heutigen Polen, die im einstmals von Flemmingschen Herrschaftsgebiet angesiedelt wurden, hegte er lebenslang genauso viel Fürsorge, als wären es noch die Seinen. Er organisierte medizinische und soziale Einrichtungen, war regelmäßig vor Ort. Das trug ihm letztlich gar die Ehrenbürgerwürde dort ein. Er war es, der seiner Tochter Regina christliche Werte und trotz der Geschichte eine ausgeprägte Empathie für den Osten und seine Menschen einimpfte: „Das sind alles genauso Menschen wie wir.“

So ist ihr selbstgewähltes Leben in Russland nicht gerade Zufall. Mit dem ererbten Bewusstsein für soziale Verantwortung und Gerechtigkeit. Das lebte sie auch schon früh in der Schule aus: „Regina setzt sich für die Belange ihrer Mitschüler ein“, wurde ihr ins Zeugnis geschrieben. Ansonsten hatte sie zu der Zeit eher große Probleme. Das blinde Anerkennen von Autorität, die nicht in ihren ausgeprägt eigensinnigen Kram passt, ist der „höheren Tochter“ immer schwergefallen. Statt Schul- war ihr Lebenslehre wichtiger. Zum Beispiel bei Großdemonstrationen gegen Atomkraftwerke als rühriges Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend.

Ihrer Mutter, eine geborene von Ruhmor, zollt sie nicht weniger Achtung. Heute leitet diese mit stattlichen 81 als Priörin eine karitative Einrichtung in einem ehemaligen Kloster in Pretz. Eine schleswig-holsteinische Institution, die bereits im 17. Jahrhundert vom lokalen Adel gegründet wurde. Auch sie hat ihr Lebtag gearbeitet, vier Kinder aufgezogen, hausgeschlachtet, geschneidert. „Wir haben zwar einen Supernamen, hatten aber nie genug Geld“, erklärt Tochter Regina. Als Mädchen trug sie Kleider mit dem Etikett „Salon Mama“: „Bis zwölf habe ich immer geglaubt, das sei eine französische Modemarke.“ Schon mit zwölf trug auch Regina ihr Scherflein zum Haushaltsgeld bei. In der Küche des lokalen Gasthofs. Später verdiente sie Zubrot als angelernte Fräserin in einer Kugellagerfabrik.

„Alles wird gut“, diese ur-russische Durchhalteparole, aber oft auch Entschuldigungsformel für Liegenbleibendes, findet sie hier gar nicht so gut: „Ein bisschen Planung soll wohl sein.“ Und viele russische Männer seien ja durchaus „schlau und nett“, ließen es häufig aber auch ganz schön krachen. Diese Nation sei ja so etwas wie das „Mutterland des Treueversagens“. „Aber ich bin keine Zweitfrau“, resümiert sie. Dabei wäre sie doch sogar gut für zwei. Sozusagen. Hübsch und kultiviert. Schlau und erfolgreich. Als angesehene, einflussreiche Unternehmensberaterin und „Springer-Frau“ in Russland hat sie den Lifestyle der Oligarchen oft hautnah mitgemacht. Auf Einladung per Privatjet nach Porto Cervo auf Sardinien oder an die Cote d’Azur. Doch trotz dieses ja reichlich süßeren Lebens, lässt sie all die Schmähungen und Vorurteile gegen die global umtriebige neurussische Geldelite nicht gelten. Die würden sich nämlich umsorgender für ihre Mitmenschen hervortun als allgemein anerkannt und karitativ das tun, was eigentlich Staatsaufgabe sein sollte. Sie sei nie abgehoben, eher tief verwurzelt mitten in der Gesellschaft. Sie fühle sich wohler unter echten Freunden. Darunter Künstler und viele ihrer ehemaligen Mitarbeiter. Die versammelt sie um ihren Esstisch und bekocht sie gern und oft.

Foto: privat

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Der Platz reicht, auf gefühlten 200 Quadratmetern. Erste Adresse. Schon die Straße, die Petrowka, eine der ältesten und von jeher angesagtesten mitten im Herzen Moskaus. So wie es sich eben für ihrereins nun doch gehört. Aber Deutschland und seine Hauptstadt Berlin bleiben für sie ebenso starke Magnete. So führt sie ein zwar unstetes aber reizvolles Pendlerleben auf östlicher Achse. Nie war sie eine ausgesprochene Transatlantikerin, wie sie zugibt. Ebenso wenig wie eine kritiklose Putin-Anhängerin. Im Gegenteil, betrachtet sie mit einiger Sorge den nationalen Populismus hierzulande und auch andernorts. Das wieder heftig aufgekeimte Propagandagebaren in West und Ost, das hasse sie förmlich. Nach mehr als 25 Jahren hier empfindet sie die deutsch-russischen Beziehungen wieder auf einem höchst bedauerlichen Tiefpunkt angelangt. Was sie selbst zur Besserung beitragen kann, das tut sie: weiter äußerst aktiv in der deutsch-russischen Auslandshandelskammer in Moskau und im Wirtschaftsforum der SPD.

Charity-Aktivitäten, die passen zu ihr. Wie geerbt. Da meint sie nicht gönnerhaftes, feudalherrschaftliches Verteilen von Almosen, nein, eher aktive, gezielte Hilfestellung für wirklich Bedürftige. Deshalb ist sie zum Beispiel auch emsiges Mitglied in einem Moskauer Rotary Club. Ihr Tun adelt sie vielleicht noch mehr als ihr Familienname, so stolz sie auch auf den ist. Eh nicht ihr Verdienst, denn wer kann schon entscheiden, in welche Familie er geboren wird? „Sich selbst nicht so wichtig nehmen“, sinniert sie. Leichter gesagt, wenn man es selbst zweifellos schon zu jemand Wichtigem gebracht hat.

Für das adelsgeborene, aber sozial-rebellische Mädel vom Lande hat sich schon jetzt ein selten erfülltes Leben abgespult. So rast- wie ruhelos. Dabei ist für das Energiebündel Regina von Flemming altersmäßig gerade erst ein halbes Jahrhundert abgelaufen. Da kann noch viel kommen. Für den Fall steht auch immer eine prallgefüllte Handtasche bereit. Ausweispapiere, Notgroschen, eine kleine Notfallapotheke, eine Perlenkette mit Erinnerungen, ein Lieblingsbuch und ein Vorrat ihrer geliebten Zigaretten, der dänischen Traditionsmarke Prince, eine der wenigen Ausschweifungen, die sie hierorts vermisst und stangenweise bunkert. Man darf gespannt sein. Wie sie selbst.

 

Termin: Frauen in den deutsch-russischen Beziehungen

mgSo lautet das Thema des nächsten Moskauer Gesprächs mit Regina von Flemming, Andrea von Knoop und Evgeniya Sayko. Die Veranstaltung findet in Moskau am 8. September um 19 Uhr in der Bibliothek für ausländische Literatur (Metro Kitai Gorod) statt. Die Einladung können Sie als PDF herunterladen: Einladung_MG3_Sep_2016_de. Anmelden kann man sich hier.

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