Zwischen Macht und Muse

In Deutschland eher ungewöhlich, in Russland gelebte Tradition: Auch höchste politische Entscheidungsträger probieren sich in den schönen Künsten, veröffentlichen Gedichtsbände, Romane oder schreiben Lieder. Eine Auswahl.

Multitalent Surkow

Putins früherer Chefideologe Wladislaw Surkow macht auch mit Gedichten, Liedern und einem Roman von sich reden. (Foto: yandex.ru)

„Ich bin wieder allein. Mir wurde Freiheit gegeben. Wozu brauche ich da Kokain?“ Mit diesen etwas rätselhaften Zeilen beginnt das neueste Gedicht von Wladislaw Surkow, einem der undurchsichtigsten Politiker der jüngeren russischen Geschichte. Lange galt Surkow als Wladimir Putins Chef­ideologe, zuletzt beriet er den Präsidenten zur Zusammenarbeit mit Abchasien und Südossetien. Neben seiner politischen Arbeit schrieb Surkow jedoch auch Lieder und Gedichte. Der Musiker Wadim Samoilow veröffentlichte zwei Alben mit von ihm inspirierten Songs. Surkow soll auch hinter dem 2009 unter dem Pseudonym Nathan Dubowizki erschienenen Roman „Okolonolja“ stehen.


Uljukajews Ökonomie

Ex-Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew veröffentlichte bereits als Student Gedichte. (Foto: vse42.ru)

Alexej Uljukajew gehörte zu den jungen Wirtschaftsreformern nach dem Ende der Sowjetunion und wurde 2017 als Wirtschaftsminister in einem aufsehenerregenden Prozess zu acht Jahren Lagerhaft wegen angeblicher Erpressung verurteilt. Dass der ehemalige Staatsdiener auch Gedichte veröffentlichte, ist in Russland heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Uljukajews erste Verse erschienen 1978 noch während seines Studiums in einer Studentenzeitung. Auch später blieb er dem Schreiben treu und veröffentlichte zwischen 2002 und 2013 drei Gedichtbände. Uljukajews Verse sind von einem pessimistischen Ton geprägt und kreisen auch schon mal um die nationale Währung Rubel und sein Berufsfeld, die Ökonomie. Journalisten rätselten seinerzeit, ob die traurigen Verse Rückschlüsse auf den Stand der russischen Wirtschaft zuließen.


Medinskis Mythen

Präsidentenberater Wladimir Medinski ist Autor einer Reihe populärwissenschaftlicher Bücher über Russlands Geschichte. (Foto: twitter.com)

Bei Ultrakonservativen populär, in Künstlerkreisen extrem unbeliebt: Wladimir Medinski stand als Kulturminister zwischen 2012 und 2020 für die Wende zu mehr Nationalstolz in Film, Theater und Literatur. Der gelernte Journalist und heutige Präsidentenberater griff auch selbst zur Feder und legte mit der Reihe „Mythen Russlands“ gleich eine ganze Reihe historischer Bücher vor, die zu gern gelesenen Bestsellern wurden. Im Jahr 2012 veröffentlichte Medinski dann seinen ersten Roman „Die Mauer“ über die zwanzig Monate andauernde Belagerung der westrussischen Stadt Smolensk in der sogenannten Zeit der Wirren im 17. Jahrhundert. Kremlnahe Kritiker verglichen das Werk mit Alexandre Dumas` „Die drei Musketiere“. Vier Jahre später wurde es verfilmt und im Staatsfernsehen ausgestrahlt.


Schirinowski und Sex

Rechtspopulist Wladimir Schirinowski überraschte Ende der 1990er Jahre mit der „Sexfibel“, in der er Gedanken über eine neue russische Sexualkultur anstellt. (Foto: ribalych.ru)

Er drohte der Türkei mit Atomschlägen, träumte von russischen Soldaten am Indischen Ozean und forderte die Rückkehr zur Monarchie: Der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski macht seit drei Jahrzehnten mit abstrusen Wortmeldungen Schlagzeilen. Auch als Schriftsteller hat sich der umstrittene Vorsitzende der „Liberaldemokratischen Partei“ (LDPR) schon versucht. So schrieb Schirinowski bereits Broschüren über Russlands Zukunft und nationale Sicherheit und warnte in einer Schrift vor einer angeblichen Bedrohung durch Hare-Krishna-Anhänger. Am ungewöhnlichsten ist aber sicherlich seine Ko-Autorschaft an der 1998 erschienenen „Sexfibel“, mit welcher Schirinowki eine ganz neue Sexualkultur in Russland herbeischreiben wollte. Dafür schlägt er unter anderem vor, dass Frauen nach dem ersten Beischlaf von ihren Partnern einen Silberring erhalten, den sie das ganze Leben tragen sollen.

Birger Schütz

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