Zwischen Europa und Transatlantik: Deutschland könnte in der aktuellen Krise eine besondere Bedeutung zukommen

Im aktuellen politischen Säbelrasseln steht Deutschland fest an der Seite Großbritanniens. Gleichzeitig hat es die Möglichkeit, aufgrund der besonderen Beziehungen zu Russland in diesem Konflikt als Vermittler aktiv zu werden.

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Brauchen einen Vermittler: Theresa May und Wladimir Putin. /Foto: wikicommons

„In der Geschichte der Weltdiplomatie ist schon so ziemlich alles geschehen. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass der Grund für eine solche Massenausweisung von Diplomaten nicht bei den beteiligten Staaten zu finden war“, sagt der Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ Fjodor Ljukjanow. Seiner Meinung nach nehmen Gesellschaft und politische Eliten im Westen die Ereignisse der letzten Jahre sehr unterschiedlich wahr. „Wenn man mit den einfachen Menschen in Deutschland spricht, spürt man nicht so eine Aufgeregtheit wie bei den Eliten. Das bedeutet nicht, dass sie eine besondere Beziehung zu Russland haben oder es gar lieben. Sie verstehen einfach nicht, was momentan geschieht.“

Großbritannien beruft sich auf den Bündnisfall

Die britische Regierung nutzte die Tragödie in Salisbury, um einen neuen Informationskrieg zu entfesseln. Die Vergiftung Sergej Skripals wurde als Angriff auf ein NATO-Mitglied dargestellt, meint Dmitrij Rjurikow, ehemaliger russischer Botschafter in Usbekistan und Dänemark. „Ein Angriff eines NATO-Mitglieds wird als Angriff auf die gesamte NATO gesehen. Das Militärbündnis kann sich in diesem Fall auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen ‚Über das Recht der Selbstverteidigung im Falle eines Angriffs‘ berufen.“ erklärt Rjurikow.

Die britische Premierministerin Theresa May habe nicht gut daran getan, ohne Untersuchungsergebnisse und konkrete Beweise Russland für die Ereignisse in Südengland verantwortlich zu machen, merkt Willi Wimmer, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, an. 

Ebenso wie Dmitrij Rjurikow geht der deutsche Politiker davon aus, dass der Skandal um die Vergiftung missbraucht wurde, um die Mechanismen der NATO in Gang zu setzen. Dies führte in der Folge zu einer tiefen Spaltung und wachsenden politischen Spannungen in der Welt. „Die Bundesrepublik hat die russischen Diplomaten einzig und allein aus transatlantischer Solidarität ausgewiesen“, ist Wimmer überzeugt.

Der aktuelle Konflikt ist schwer zu durchschauen

Zwischen Russland und dem Westen findet gerade eine Art Kalter Krieg statt, dessen Gründe selbst für Experten nur schwer auszumachen sind, glaubt der wissenschaftliche Leiter des Deutsch-Russischen Forums, Alexander Rahr. Im Gegensatz zu den Konflikten des echten Kalten Krieges, als sich zwei verschiedene Ideologien gegenüberstanden, ist der aktuelle Konflikt einer ohne Eigenschaften.

„Das ist eine neue Wendung in den zwischenstaatlichen Beziehungen, die es noch zu konzeptualisieren gilt. Allerdings ist das nicht so einfach, da mächtige Informationsmaschinen in diesen Kampf involviert sind, die man nur schwer aufhalten kann“, so Rahr. Seiner Meinung nach ist die Konzeptualisierung der Ursachen der aktuellen Krise auch deshalb so kompliziert, weil beide Seiten im selben Maße einander nicht richtig einschätzen.

Beide Seiten verstehen einander nicht

So behaupten fast ausnahmslos alle westlichen Thinktanks, dass Russland ein schwacher Staat und dessen starke Armee nur ein Bluff ist. Ebenso, dass es komplett unter Oligarchen aufgeteilt ist und das Volk seinen Präsidenten nicht unterstützt. Dergestalt kann das Land nicht lange existieren und muss sich auf die Seite des Westens schlagen.

In Russland glaubt man blind, dass Europa sich am Rande der Spaltung befindet und sich die Menschen gegen die Amerikaner erheben werden. Dies wird dann zu einer Änderung des  geopolitischen Kurses der USA  führen. Es herrscht ein sehr geringes Verständnis davon, wie eng die transatlantischen Verbindungen zwischen den regierenden Eliten sind.

Deutschland nimmt eine Sonderrolle ein

Deutschland sei nicht an einem Bruch mit Moskau interessiert. Die Menschen hätten eine besondere Beziehung zu Russland, merkt Alexander Rahr an. „Zumindest die ältere Generation hat nicht vergessen, welches Leid die Wehrmacht über die Sowjetunion gebracht hat. Die mittlere Generation kann sich noch gut an die Jahre der Einheit erinnern, die von der Sowjetunion und allen voran Michail Gorbatschow befürwortet wurde.“

Alexander Rahr glaubt, dass die Deutschen, im Gegensatz zu vielen anderen Europäern, überzeugt seien, dass man ein starkes Europa mit und nicht gegen Russland aufbauen müsse. Er geht davon aus, dass es in Deutschland immer Persönlichkeiten wie Gerhard Schröder oder die verstorbenen Egon Bahr und Helmut Schmidt geben werde, die sich gegen einen Informationskrieg und die Isolierung Russlands stark machen. Der Politikwissenschaftler könnte sich zudem  gut vorstellen, dass Deutschland als Vermittler bei der Lösung der aktuellen Krise zwischen Russland und dem Westen einnimmt. So wie schon Jahr 2008, als es gemeinsam mit Frankreich im Georgienkonflikt aktiv wurde.

Femida Selimowa

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