
Ein ganz gewöhnlicher Podcast: eine Bloggerin und ihre Gesprächspartnerin, eine Immobilienexpertin. Was kann da schon schiefgehen? Könnte das Gespräch über Immobilien zur Strafe für die beiden führen? Genau das ist Marina Orlowa, einer Immobilienmaklerin aus Tomsk, und Daria Tscherdanzewa, der Autorin des Podcasts, passiert.
Auf die Frage der Bloggerin, woher eine 30-jährige Frau das Geld für den Kauf einer Wohnung nehmen könne, was bei Weitem nicht nur in Moskau teuer ist, verwies die Immobilienmaklerin auf Frauen, die Soldaten heiraten. Hier kann kalte Berechnung im Spiel sein: Seit dem 1. Januar 2025 beträgt die Höhe der Pauschalentschädigung für Angehörige eines in einem Kampfgebiet gefallenen Soldaten 5.159.344 Rubel (etwa 55.000 Euro). Orlowa nannte solche Zweckehen einen „Geschäftsplan“.
Es war kaum ein Ratschlag, wie man anständiges Geld bekommt, sondern eher eine Beschreibung des Verhaltens bestimmter Personen. Aber es dauerte nicht lange, bis eine Reaktion auf den Podcast erfolgte. Sehr bald fanden sich die beiden Podcast-Teilnehmerinnen in der Abteilung des Zentrums für Extremismusbekämpfung der Regionalabteilung des Innenministeriums wieder. Dort nahmen sie eine Video-Entschuldigung auf, in der sie versicherten, dass sie in keiner Weise jemanden „provozieren“ wollten, und sich bei den Müttern und Witwen der an der Front gefallenen Soldaten entschuldigten.
Das russische Ermittlungskomitee und die Staatsanwaltschaft untersuchten daraufhin den Vorfall. Das Resultat: Marina Orlowa erhielt 80 Stunden und Daria Tscherdanzewa 85 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
Dass die Reaktion auf die in dem Podcast gesprochenen Worte so harsch ausfiel, ist nicht überraschend. Vor allem angesichts der jüngsten Verurteilung von Journalisten, die „gefährliche Themen“ angesprochen haben. Mittlerweile weisen auf das Problem bzw. das Phänomen der Zweckehen mit den Soldaten auch viele andere hin. So sprach auch Anastassija Kaschewarowa, Moderatorin der Fernsehsendung Solowjow live, über „schwarze Witwen“. „Ich kenne persönlich eine Frau, die nacheinander drei Soldaten der Spezialoperation heiratete, alle drei begrub und für alle drei Zahlungen erhielt“, so Kaschewarowa.
Dabei sind solche kaltblütigen und zynischen Methoden der Bereicherung nicht strafbar. Sie befinden sich im gesetzlichen Rahmen. Und vor diesem Hintergrund werden der Schmerz und die Trauer der Familien, die Angehörige verloren haben, noch deutlicher. Für viele ist ein solcher Verlust keine fiktive Tragödie.
Sofia Gussinski