Zur Opposition gezwungen

Die Dumawahlen im September finden auch in den russischen Teilsubjekten statt, die ihre Vertreter für das Parlament in Moskau wählen. Vor Ort kommt es dabei nicht selten zu Skandalen. Wir haben mit Alij Totorkulow gesprochen, der bislang erfolglos versucht, sich in Karatschai-Tscherkessien zur Wahl anzumelden.

Dumawahlen

Alij Totorkulow (54, Mitte) mit seinen Unterstützern im Vorwahlkampf / Leyla Tiger

Provinzpolitik am Beispiel Karatschai-Tscherkessien: Ein in der Region einflussreicher Mann will in der Kaukasusrepublik an den Dumawahlen im September teilnehmen. Zuerst verweigert die Regierungspartei „Einiges Russland“ Alij Totorkulow die Teilnahme an den internen Vorwahlen unter dem nicht weiter begründeten Hinweis, er hätte der Partei geschadet. Dann lehnt die lokale Wahlkommission seine Zulassung als unabhängiger Kandidat zur Wahl über die Direktmandate ab – wie immer in solchen Fällen, wegen angeblicher Fehler beim Unterschriften-Sammeln, und diesmal sogar gegen die Empfehlung der Zentralen Wahlkommission in Moskau. Wir haben mit Totorkulow gesprochen, der unter anderem Vorsitzender des „Russischen Kongresses der Kaukasusvölker“ und Präsident der NGO für Jugendförderung „Elbrusoid“ ist.

Herr Totorkulow, Sie leiten seit vielen Jahren NGOs im Nordkaukasus. Warum wollen Sie jetzt unbedingt in die Politik?

Ich habe mich zuletzt mit vielen Projekten an die Politik gewandt. In Moskau fand ich Gehör und Unterstützung, zu Hause in Karatschai-Tscherkessien nicht. Also habe ich entschieden, dass ich jetzt selbst in die Politik muss.

Wäre es nicht leichter gewesen, Mitglied in der Staatspartei „Einiges Russland“ zu werden?

Ich habe auch einen Antrag gestellt, um an den Vorwahlen der Partei teilzunehmen. Da fingen unsere Machtinhaber an, Schreckgeschichten über mich zu verbreiten. Am Ende durfte ich mitmachen.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien eine unangenehme Person für die Regierung Ihrer Republik. Inwiefern?

Auch wenn ich sie öffentlich nicht kritisiere, habe ich sie in vertraulichen Gesprächen immer wieder auf Missstände angesprochen. Die Regierenden mögen es aber nur, wenn man sie lobt.

Die Probleme bei der Zulassung zu den Dumawahlen kommen für Sie also nicht überraschend?

Ich bin eigentlich nicht jemand, der auf Konflikte aus ist. Bei unserer Republikführung finde ich aber überhaupt kein Verständnis. Mir war daher schon klar, dass sie mir Steine in den Weg legen würden. Die Schmutzkampagne hat mich aber doch schockiert. Als noch „junger“ Politiker gewöhne ich mich aber langsam daran.

Was kann ein Duma-Abgeordneter eigentlich in Moskau für seine Heimatregion bewirken?

Er vertritt die Interessen seiner Wähler zu Hause. Für die einfachen Menschen gibt es vor Ort keine Gerechtigkeit: Die Politik hört sie nicht, ihre Rechte werden in allen Bereichen verletzt. Unsere Republik ist sozial und wirtschaftlich abgehängt, das Investitionsklima liegt bei Null. Wie haben viele Probleme, und ein Duma-Abgeordneter sollte sie wahrnehmen und dann die richtigen Knöpfe bedienen, auf allen Ebenen.

Welchen Gesetzentwurf würden Sie als erstes initiieren, wenn Sie in die Duma kämen?

Ich habe schon vor einiger Zeit vorgeschlagen, dass die Rechtfertigung der Repressionen der Sowjetzeit gegen ganze Volksgruppen unter Strafe gestellt wird. Immer wieder müssen wir uns anhören, dass wir zu Recht ausgesiedelt wurden. Das verletzt unsere Rechte und verschlechtert die zwischenethnischen Beziehungen in unserem Land.

Sehen Sie dieses Problem russlandweit oder speziell in Ihrer Republik?

Das betrifft viele Völker, die während des Zweiten Weltkriegs deportiert wurden: Tschetschenen, Inguschen, Balkaren, Kalmyken, die Krimtataren und auch die Wolgadeutschen und Koreaner – Dutzende Volksgruppen.

Wer rechtfertigt denn die Stalin-Repressionen?

Es gibt konkrete Leute, die an jedem Jahrestag der Deportationen darüber schreiben und den Stalinismus verteidigen. Das ist ein Schlag ins Gesicht für Millionen von Nachfahren der deportierten Völker und spaltet Russland.

Ist es in Russland generell schwieriger, als Vertreter einer Minderheit politisch Karriere zu machen?

Das glaube ich nicht. In Moskau habe ich auch keine Probleme, und zu Hause ringe ich nicht mit den Russen, sondern mit Karatschaiern, wie ich auch einer bin.

Sind Sie ein Oppositioneller?

Nein. Wenn unsere politisch Verantwortlichen auf die Menschen hören, arbeite ich gerne mit ihnen zusammen. Wenn sie das nicht tun, treiben sie engagierte Leute in die Opposition. Da ich aber bis jetzt nicht in der Politik gewesen bin, konnte ich bisher zu niemandem in Opposition treten.

In Moskau und auch in Deutschland hält man es für gefährlich, im Kaukasus gegen die Politik aufzubegehren. Ist es für Sie gefährlich?

Das sind Schubladen, in die man uns steckt. Ja, unsere Leute sind feurig und es kommt zu Vorfällen. Ich fühle mich aber nicht in Gefahr. Ich mache Wahlkampf und treffe die Menschen. Man rät mir zwar zu Leibwächtern, das kommt aber eher von unglücklichen Ereignissen, die in der Vergangenheit liegen.

Die Fragen stellte Bojan Krstulovic

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