Wo die Zeit stehen geblieben ist

Moskau ist eine schnelllebige Stadt. Das gilt besonders für Restaurants und Kneipen. Oft verschwinden Orte, die man liebgewonnen hat, nach kurzer Zeit wieder. Entweder wird die Miete zu teuer oder der Besitzer will einfach ein neues Konzept ausprobieren. Aber es gibt sie noch, die Lokale, die dem Zeitgeist trotzen und teilweise seit Jahrzehnten fast unverändert existieren. Wer sich auf sie einlässt, entdeckt ein anderes Moskau.

Paros – Armenische Gastfreundlichkeit

Das „Paros“ ist eine Institution im Basmannyj-Viertel unweit des Gartenrings. Gleich gegenüber der Kirche, in der Russlands Nationaldichter Alexander Puschkin getauft wurde, empfängt Susanna Christoforowna seit bald 27 Jahren ihre Gäste. Die gebürtige Armenierin ist viel herumgekommen in ihrem Leben. Als promovierte Biologin hat sie in verschiedenen Ländern an alternativen Energien gearbeitet. Doch ihr Kind ist das „Paros“. Und so sitzt sie dort meist an ihrem Tisch. Immer bereit, ihre Gäste mit Geschichten übers Essen oder Armenien zu unterhalten. Und das gern auch auf Englisch. Die übersichtliche Speisekarte bietet viele Klassiker aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie Schaschlik, Plow oder Pelmeni. Seit Kurzem bietet das „Paros“ auch Vegetarisches an. Oder man nimmt den Mittagstisch, der wird hier den ganzen Tag serviert. Zum Essen gibt es armenisches Bier für 1,80 Euro. Allerdings gehen die meisten Gäste schnell zu den Kräuterschnäpsen über, den Nastojki über. Spezialität des Hauses ist der Schnaps auf Dillbasis, stilecht aus der Teekanne eingegossen. Ist die Stimmung im „Paros“ erst einmal gestiegen, dauert es nicht lange, bis man mit den Nachbartischen ins Gespräch kommt und allerlei interessante Menschen kennenlernt. Egal ob Künstler, DJs, Handwerker oder der Angestellte von nebenan – im „Paros“ kommen sie alle zusammen. Und oft setzt sich einer von ihnen ans Klavier oder greift zur Gitarre, die am Tresen bereitsteht. Dann ertönen Klassiker aus Chanson und russischem Rock. Aber nur bis 23 Uhr. Denn dann schließt das „Paros“ bis zum nächsten Vormittag.

Paros
Spartakowskaja uliza 8
Metro-Station: Baumanskaja

Blinnaja na Taganke – Gut und günstig

Hier trifft sich das ganze Viertel und Stars wie Pop-Diva Alla Pugatschowa kommen auf eine Suppe vorbei. /Foto: Daniel Säwert

Ganze 67 Jahre ist die „Blinnaja na Taganke“ schon Anlaufpunkt für Hungrige und Durstige und hat es seitdem sogar in eine sowjetische Krimi-Serie geschafft. Im Jahr 1962 wurde das unscheinbare Lokal eröffnet, um Bliny (Pfannkuchen) unter die Menschen im Taganka-Viertel zu bringen. Und seitdem scheint sich nicht viel verändert zu haben. Hat man die schwere Eingangstür aufbekommen, erwartet einen ein karger Raum. Der erste Eindruck: Alles wirkt sehr solide und ein wenig heruntergekommen. Ein wenig so, als sei seit der Eröffnung nicht renoviert worden. Kahle braune Wände, drei Tische zum Sitzen und drei zum Stehen. Doch das stört nicht, denn schnell wird klar, dass die Menschen zum Reden in die „Blinnaja na Taganke“ kommen. Und das Lokal ist wirklich ein Treffpunkt im Viertel. Hier kommen alle hin. Seien es die Polizisten von der gegenüberliegenden Wache, Anzugträger oder Biker. Sie alle finden in der Blinnaja einen Platz. Selbst bekannte Persönlichkeiten wie der Schauspieler und Liedermacher Wladimir Wyssozki oder Rock- und Popdiva Alla Pugatschowa sollen hier die eine oder andere Suppe oder hausgemachte Bliny gegessen haben. Und die sind unschlagbar günstig. Drei Pfannkuchen gibt es bereits für 55 Rubel (78 Cent). Das teuerste Gericht (36 Pelmeni) kosten ganze 90 Rubel (1,30 Euro). Dazu trinkt man am besten einen Tee, den man sich selbst mit dem heißen Wasser aus dem wahrscheinlich größten Samowar der Stadt zubereitet. Oder ein gezapftes Bier für nicht mal zwei Euro. Und das Beste: in die „Blinnaja na Taganke“ kann man rund um die Uhr einkehren und jemanden zum Reden finden.

Blinnaja na Taganke
Woronzowskaja uliza 8/1
Metro-Station Taganskaja

Tscheburetschnaja „Druschba“ – Ganz wie früher

Kein langes Warten: Flink verteilen die Frauen in der Tscheburetschnaja „Druschba“ Teigtaschen and die Gäste. /Foto: vk.com

Steigt man an der Station Sucharewskaja aus der Metro, kann man die Tscheburetschnaja „Druschba“ (Freundschaft) kaum verfehlen. Zumindest, wenn die Tür auf ist. Denn dann führt einen der Duft von Frittierfett direkt ans Ziel. Dort angekommen, wird schnell klar: Hier geht es um Geselligkeit.Der grell erleuchtete Raum ist mit Stehtischen vollgestellt, an denen sich Menschengruppen um Berge von Tschebureki (halbrunde frittierte Teigtaschen) versammelt. Die gibt es hinter einer Trennwand von drei Frauen blitzschnell auf den Plastikteller geworfen. Kostenpunkt: ein Euro. Die Auswahl: klein. Oft ist nur eine Sorte mit Fleischfüllung vorrätig. Zum Verdauen der kalorienreichen Spezialität bevorzugen die Gäste der „Druschba“ Bier oder Wodka, beides flaschenweise serviert. Zugegeben, Tscheburetschnajas gibt es in Moskau viele, doch die „Druschba“ hat einen besonderen Stellenwert. Schließlich stehen hier die Menschen bereits seit 50 Jahren Schlange – vom Bauarbeiter bis zum Arzt. Wer heute in die „Druschba“ geht, schätzt die „stabil leckeren und frischen Tschebureki“ und die „sowjetische Art der Bedienung“, wie es in einem Fanforum heißt. Zwar bedeutet letzteres nichts anderes, als dass die Frauen hinter der Theke unfreundlich und rau sind, für die Gäste gilt dies aber nicht. Wer sich darauf einlässt, findet schnell einen Gesprächspartner, der vielleicht auch so manche Geschichte von früher erzählen kann. Täglich bis 21 Uhr kann man die Tscheburetschnaja genießen. Danach muss man in ein teureres Restaurant in dem schicken Viertel ausweichen.

Tscheburetschnaja „Druschba“
Pankratjewskij pereulok 2
Metro-Station: Sucharewskaja

Daniel Säwert

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