WM-Zwischenbilanz: Im Kreml brennt noch Licht

Bei der Fußball-WM in Russland eilen die Gastgeber von Erfolg zu Erfolg, doch Präsident Putin arbeitet lieber, statt zu feiern. Eine politisch-gesellschaftliche Zwischenbilanz vor den Viertelfinalspielen.

Brasilianische Fans ziehen lautstark über den Roten Platz. © Tino Künzel

Es läuft gut für Wladimir Putin. „Unser Hauptziel als Gastgeberland ist es, diese Weltmeisterschaft gut zu organisieren und sie zu einem echten Festival für Millionen von Fußball-Fans in aller Welt zu machen“, hatte der russische Präsident im Vorfeld der WM erklärt. Dieses Hauptziel kann schon nach drei von viereinhalb Turnierwochen als erreicht gelten. Doch mehr noch: Die „Sbornaja“, die Mannschaft des Gastgeberlandes, hat sensationell das Viertelfinale erreicht. Der nächste Gegner Kroatien ist zwar stark, aber nicht unschlagbar, und so sind es keineswegs nur die Fans draußen in aller Welt, die feiern. Durch Russland selbst weht ein Hauch von Sommermärchen.

Diese Entwicklung hätten zu Beginn der WM selbst die kühnsten Optimisten kaum für möglich gehalten, und dies keineswegs nur in sportlicher Hinsicht. Putin hatte noch kurz vor dem Eröffnungsspiel in Moskau eine recht spezielle Warnung in Richtung Kiew gesandt. Sollte die ukrainische Armee das Sportspektakel nutzen, um Stellungen prorussischer Separatisten im umkämpften Donbass anzugreifen, dann werde das „schwere Folgen für die gesamte ukrainische Staatlichkeit“ haben. Wer die jüngste Geschichte seit der Maidan-Revolution 2014 verfolgt hat, konnte das nur als offene Kriegsdrohung verstehen. Doch es passierte in der Ostukraine bislang nichts Außergewöhnliches, was allerdings schlimm genug ist: Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) meldeten zuletzt knapp 1000 Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand täglich. So war es aber auch im Mai. So ist es seit Langem in dem leidgeprüften Bürgerkriegsgebiet. Kein Grund für einen WM-Alarm also, und das gilt für die gesamte Sicherheitslage. Weder suchten die gefürchteten russischen Hooligans die offene Schlacht mit ausländischen Fangruppen noch gab es terroristische Anschläge oder auch nur einen spürbaren Anstieg der Alltagskriminalität.

Das hat natürlich in erster Linie mit der Allgegenwart von Polizei und Sicherheitsdiensten zu tun, vor allem aber mit einer effektiven Präventionsarbeit im Vorfeld der WM. In Hooligan-Kreisen machten Berichte von Hausbesuchen durch Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB die Runde. „Wir sind bereit, überall und jederzeit hart gegen Rechtsbrecher vorzugehen“, hatte das Innenministerium angekündigt. Putin persönlich hatte per Dekret das ohnehin restriktive Demonstrationsrecht weiter verschärft.

Aber selbst diese teils martialischen Maßnahmen haben bislang kaum einen negativen Einfluss auf die schönen Bilder, die sich der Kreml von der WM erhofft hatte und die nun tatsächlich um die Welt gehen. Sie zeigen außer fröhlich und friedlich feiernden Fans auch zwölf hochmoderne Stadien, teils vor prächtiger Stadtkulisse, wie an der Newa in St. Petersburg. Das Wissen darum, dass die Um- und Neubauten mehr als zehn Milliarden Euro verschlungen haben, nicht zuletzt Steuergeld, und dass mindestens jeder zehnte Euro davon in dunklen Kanälen versickert ist, tut der guten Stimmung im Land kaum einen Abbruch.

Derweil nutzt der Kreml die WM-Zeit politisch geschickt, um unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, vor allem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und des Renteneintrittsalters. Die Proteste dagegen hielten sich bislang in engen Grenzen. Die Popularitätswerte des erst im Frühjahr wiedergewählten Putin sind unverändert hoch (rund 70 Prozent Zustimmung). In dieser Situation setzt der Präsident auf betontes Understatement. Anders als von Kritikern erwartet, hat Putin die ganz große WM-Bühne bislang gemieden. Nur beim 5:0 der Russen im Eröffnungsspiel gegen Saudi-Arabien war er persönlich im Stadion.

Im Kreml brennt noch Licht, lautet in Russland ein geflügeltes Wort aus der Stalin-Zeit, als sich die gesamte Staats- und Parteispitze und im weitesten Sinne sogar das gesamte Sowjetimperium an den ausufernden Arbeitszeiten des Alleinherrschers auszurichten hatten. Putin dagegen suggeriert, dass das Volk ruhig schlafen kann, wenn im Kreml noch Licht brennt und der Präsident für das Wohlergehen aller arbeitet. Sogar während eines WM-Märchens. Und so wird man den Kremlchef womöglich erst wieder im Finale von Moskau im Stadion sehen. Vielleicht spielt dann ja die russische Mannschaft um den Titel.

Ulrich Krökel (n-ost)

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