Da hat sich Russland zu früh gefreut. Als der Westen über den US-Produzenten Harvey Weinstein und die Me-Too-Kampagne stritt, blieb in der russischen Öffentlichkeit die Diskussion aus. Sexuelle Belästigung? Gibt es hier nicht.
Nun aber doch. Ausgerechnet in der Duma. Der Vorsitzende des Außenausschusses der Duma und LDPR-Abgeordnete Leonid Sluzkij wird bezichtigt, Journalistinnen sexuell belästigt zu haben. Erst waren es anonyme Vorwürfe, dann traten die Betroffenen in die Öffentlichkeit. An Brisanz gewann der Fall, als die BBC-Journalistin Farida Rustamowa berichtete, Sluzkij habe ihr in den Schritt gefasst und anzügliche Bemerkungen gemacht. Während des Interviews ließ die Journalistin das Diktiergerät laufen. Die Beweise sollen der BBC-Redaktion vorliegen.
Die Vorwürfe wurden zunächst mit abfälligen Bemerkungen beiseite gewischt. „Fühlen Sie sich bei Ihrer Arbeit in der Duma gefährdet? Falls ja, suchen Sie sich am besten einen anderen Job“, meinte Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin. Und Tamara Platnewa, Vorsitzende des Ausschusses für Familien, Frauen und Kinder in der Duma, gab Journalistinnen den Rat, sich ordentlich anzuziehen und nicht mit freiem Bauchnabel rumzulaufen.
Ungleiche Machtverhältnisse
Dass nun doch über Sluzkij diskutiert wird, ist vor allem den russischen Medien zu verdanken. Sie bissen sich hartnäckig an der Geschichte fest. Nicht nur kritisch eingestellte Medien wie „Meduza“ oder die „Nowaja Gaseta“ prangerten den Fall an. Auch eher konservative Blätter schalteten sich in die Debatte ein – eine ungewohnte Einhelligkeit in der russischen Medienwelt. Die sexuelle Belästigung in der Duma wird als Symptom der Arroganz der Regierung gegenüber den Bürgern betrachtet. „Solange Bürger dem Machtgefälle von hoher Kaste und einfachem Fußvolk zustimmen, ist niemand geschützt“, schreibt die Redaktion des „Kommersant“.
Als der Druck stieg, brachte Sluzkij eine vage Entschuldigung zum Internationalen Frauentag hervor. Mit Konsequenzen muss der Abgeordnete nicht rechnen, obwohl die Duma seinen Fall derzeit im Ethikrat untersucht. In Russland fehlt ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Vielleicht schafft die Causa Sluzkij einen Präzedenzfall.
Katharina Lindt