
Grigori Melkonjanz, Menschenrechtler und Co-Vorsitzender der Bewegung „Goloss“* (dt. Stimme), die vom russischen Justizministerium in das Register der ausländischen Agenten aufgenommen wurde, hat eine fünf Jahre lange Haftstrafe bekommen.
„Goloss“* hatte zuvor mehrere Betrugsfälle im Zuge von Wahlkämpfen in Russland ans Licht gebracht. Melkonjanz wird zur Last gelegt, für die Arbeit einer in Russland unerwünschten NGO verantwortlich zu sein.
Einige sehen das Urteil gegen ihn als einen schweren Schlag gegen Befürworter friedlicher Veränderungen und gegen Menschenrechte in Russland. Darüber hinaus vermuten Unterstützer von Melkonjanz, dass bei der Anklage nicht zuletzt sein Auftritt beim Runden Tisch der Zentralen Wahlkommission im Sommer 2022 spielte, bei dem ersich kritisch in Richtung elektronischer Abstimmung geäußert hatte.
Argumente der Staatsanwaltschaft
In der Anklageschrift heißt es, die „Goloss“*-Bewegung sei auf der Grundlage eines gleichnamigen Vereins entstanden, der Teil des Europäischen Netzwerks von Wahlbeobachtungsorganisationen (ENEMO**, das 2021 von der Generalstaatsanwaltschaft für unerwünscht erklärt wurde) war, nämlich der Assoziation „Goloss“*. Diese wurde 2016 durch einen Gerichtsbeschluss aufgelöst. In den Aktivitäten von ENEMO** ersah die Generalstaatsanwaltschaft eine Bedrohung für die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung und Sicherheit Russlands.
Die Staatsanwaltschaft behauptete, dass Melkonjanz, nachdem ENEMO** als unerwünschte Organisation eingestuft worden war, „seine Pflichten zur Leitung von ‚Goloss‘* nicht aufgegeben und seine kriminellen Aktivitäten bis zu seiner Verhaftung am 17. August 2023 fortgesetzt“ habe.
Mitstreiter widersprechen
Laut Mitstreitern von Melkonjanz ist die „Goloss“*-Bewegung nicht mit ENEMO** verbunden. Die gleichnamige Assoziation, die Mitglied von ENEMO** war, wurde aufgelöst, und zwar ein Jahr vor der Einstufung ENEMO** als unerwünschte Organisation.
Melkonjanz selbst will das Urteil nicht verstehen und weigert sich, seine Schuld einzugestehen. Sein Anwalt Michail Birjukow versprach, dass die Verteidigung gegen das Urteil Berufung einlegen werde. Birjukow sieht den Fall nach eigenen Worten als politisch motiviert. Er geht davon aus, dass die Behörden möglicherweise Angst vor den Einschätzungen der Beobachter bei den Duma-Wahlen haben.
Hinzu kommt, dass Melkonjanz von der Leiterin der Zentralen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, zum Runden Tisch 2022 rund um die E-Abstimmung eingeladen worden sein soll. Daran soll er aber nicht als Vertreter der „Goloss“*-Bewegung teilgenommen haben, sondern als Experte für Wahlrecht.
E-Voting wirft Fragen auf
Das System der elektronischen Stimmabgabe gilt seit dessen erster Anwendung 2019 als Sorgenkind. Und zugleich als Kampfplatz von Anhängern der Opposition. Immer wieder wird dabei auf die deutliche Abweichung von Ergebnissen in den Wahllokalen und elektronischen Stimmen aufmerksam gemacht.
Laut Unterstützern Melkonjanz’ stellte er durch seine Kritik am E-Voting-System die Fairness der Wahlergebnisse und somit auch das Rechtssystem in Russland infrage.
Viktoria Nedaschkowskaja
*In Russland als ausländischer Agent eingestuft / **In Russland als unerwünschte Organisation erklärt