Vorbild Belarus? Russische Reaktionen auf die Wahl und den Protest

Alexander Lukaschenko hat sich in einer umstrittenen Wahl erneut als belarussischer Präsident bestätigen lassen. Die Abstimmung und die folgenden Proteste werden in Russland genau verfolgt. Denn einige sehen darin ein mögliches Szenario für das eigene Land.

Demonstranten vor der belarussischen Botschaft in Moskau. Die Polizei greift nicht ein. (Foto: Alexej Majschew/ RIA Novosti)

Belarus und Russland verbindet viel. Sie sind nicht nur Nachbarstaaten und wirtschaftlich wie politisch eng verknüpft, sondern auch „Brudervölker“. Zumindest wenn es nach den Russen geht, die in den Belarussen allzu oft eine kleine Gruppe sehen, die ein friedliches Abbild ihrer selbst sind und ein ruhiges wie zufriedenes Leben leben.

Das Interesse am kleinen Nachbarn hält sich jedoch bisweilen in Grenzen. Spätestens am Wahlsonntag, dem 9. August, dürfte angesichts der langen Schlangen vor den Konsulaten in Moskau und St. Petersburg jedoch vielen Russen klar geworden sein, wie wichtig und richtungsweisend die Wahl für die Menschen in Belarus ist.

Staatsmedien uneins in der Berichterstattung

Wer mehr Informationen wollte und am Abend den Fernseher einschaltete, wurde indes enttäuscht. Wenig überraschend fanden die Proteste in Minsk und anderen Städten in den staatlichen Nachrichtenkanälen kaum Platz. So berichtete „NTV“ schmallippig, die Sicherheitsorgane seien bemüht, die Proteste „friedlich zu unterbinden“, „Rossija 24“ sprach davon, dass die Situation „unter Kontrolle“ sei. Und der „Perwyj Kanal“ schwieg gar ganz.

Umso erstaunlicher kam da die Offenheit, mit der „RIA Novosti“ und „TASS“ aus Belarus berichteten. Manch ein Beobachter rieb sich verwundert die Augen und musste feststellen, dass die staatlichen Agenturen offen über die gewalttätigen Zusammenstöße berichteten und damit dieselben Informationen überbrachten wie oppositionelle Medien. Auch wenn die Agenturen mittlerweile ungefiltert belarussische Regierungsmeinungen weiterleiten, zeigt „RIA Novosti“ auch am dritten Tag der Proteste noch ungeschönte Bilder.

Leichte Verwunderung rief auch die Reaktion Wladimir Putins hervor. Denn der russische Präsident äußerte sich zunächst gar nicht und überließ die Rolle des ersten Gratulanten dem chinesischen Staatschef Xi Jinping. In seinem Glückwunschtelegramm schrieb Putin: „Ich rechne damit, dass Ihre Staatstätigkeit zur weiteren Entwicklung der russisch-belarussischen Beziehungen in allen Bereichen beiträgt.“ Leidenschaft für einen engen Verbündeten sieht anders aus.

Emotional meldete sich hingegen der dauerpolternde LDPR-Vorsitzende Wladimir Schirinowskij zu Wort und warf Lukaschenko vor, alle verraten zu haben. „Belarus ist reif, um das Regime Lukaschenko zu beenden“, prophezeite der Populist dem Nachbarn. Leonid Kalaschnikow, Vorsitzender des Duma-Komitees schürte hingegen weniger die Angst vor Lukaschenko, als vor einem ukrainischen Szenario. Nur ein hartes Durchgreifen werde einen zweiten Maidan verhindern, so Kalaschnikow.

Lob und Wut im Netz

Sympathien erhalten die Demonstranten in Belarus hingegen von der russischen Opposition. Allen voran die Frauen, die sich gegen Lukaschenko stellen. Kreml-Kritiker Alexej Nawalny lobte Kandidatin Swetlana Tichanowskaja für ihren Einsatz. Sie sei echt und habe quer durch das Land gesagt, woran sie glaubt und dafür gekämpft. „Deshalb sind die Menschen erst wählen und dann auf die Straße gegangen“, schrieb Nawalny auf Twitter.

Nachdem eine offensichtlich erzwungene Videobotschaft Tichanowskajas auftauchte, war für Michail Chodorkowski endgültig eine rote Linie überschritten. Selbst Putin habe bei seinen Attacken gegen ihn die Familie immer außen vorgelassen. Lukaschenko sei hingegen völlig durchgedreht, empörte sich Chodorkowski auf der Kurznachrichtenplattform.
Auf Instagram wandte sich Russlands beliebtester Blogger Jurij Dud an die Sicherheitskräfte und rief sie zum Gewaltverzicht auf. „Irgendwas sagt mir, dass ihr nicht trainiert habt und Superman geworden seid, um eure unbewaffneten Landsleute zu verkrüppeln.“

Belarus als Vorbild für ein russisches Szenario?

Doch viele Russen denken bereits weiter. Unabhängig vom Ausgang der Proteste in Belarus werfen sie die Frage auf, ob das, was im Nachbarland passiert, als Vorbild für die russische Präsidentschaftswahl in vier Jahren dienen kann. Der Journalist Andrej Loschak etwa ist davon beeindruckt, dass die Menschen in Belarus ihre Angst verloren haben. Das unterscheide sie von den Moskauer Protesten im vergangenen Sommer. Sergej Parchomenko, ebenfalls Journalist, macht eine erfolgsversprechende Strategie aus. „Beim belarussischen Protest scheint der Schlüssel zum Erfolg jetzt nicht in Minsk zu liegen, sondern gerade in den kleinen Provinzstädten.“ Nicht nur deshalb spricht der Politikwissenschaftler Sergej Medwedjew davon, dass Belarus 2020 eine Blaupause für Russland 2024 sei, oder sogar früher.

Ob es wirklich dazu kommt, kann niemand sagen. Doch der belarussiche Protest hat schon jetzt Russlands Straßen erreicht. Seit Tagen skandieren die Menschen im fernöstlichen Chabarowsk, die selbst seit Wochen gegen die Festnahme ihres Gouverneurs protestieren, Solidaritätsbekundungen mit den Belarussen. „Belarus, wir sind auf deiner Seite“, schallt es dort durch die Straßen.

Daniel Säwert

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