Volle Kontrolle

Braucht es bald eine behördliche Genehmigung für einen Kochkurs auf YouTube? Für den Vortrag eines ausländischen Forschers an einer Universität? Das befürchten Wissenschaftler und Macher von Bildungsangeboten in Russland derzeit. Grund dafür ist ein Antrag zur Änderung des rus­sischen Bildungsgesetzes.

Bald könnte jeder Vortrag genehmigungspflichtig werden. (Foto: RIA Nowosti/ Michail Woskresenskij)

Russlands Schüler und Studenten seien „unter dem Deckmantel der Bildung einer breiten Palette von Propagandaaktivitäten“ ausgesetzt. Teils mit Unterstützung aus dem Ausland zielten diese darauf ab, „die Regierungspolitik in der Rus­sischen Föderation zu diskreditieren, die Geschichte zu revidieren und die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben.“ Und die gegenwärtige Gesetzeslage biete keine Handhabe, dagegen vorzugehen. Eine entsprechende Ergänzung des föderalen Bildungsgesetzes sei daher dringend geboten.

So argumentieren die Autoren eines Änderungsantrags, der im vergangenen November aufkam und im Februar in leicht veränderter Fassung die Staatsduma passiert hat. Sowohl Wissenschaftler rus­sischer Universitäten als auch Macher populärwissenschaftlicher Blogs und Fernsehsendungen sind seither alarmiert. Was die Parlamentarier da ausgearbeitet haben, hätte weitreichende Folgen, sowohl für die akademische Welt als auch für alle Arten von informellen Bildungsangeboten bis hin zu hobbymäßig betriebenen YouTube-Kanälen.

Kooperation mit Ausländern nur mit Genehmigung

Der Vorschlag der Gruppe unter der Leitung der Abgeordneten Andrej Klimow und Wassilij Piskarew umfasst im Wesentlichen drei Punkte. Der erste betrifft die sogenannte informelle Bildung, also alles, was außerhalb von Schule und Universität geschieht. Bislang nicht im Gesetz erwähnt, sollen zukünftig alle diese Tätigkeiten nur noch mit einer behördlichen Lizenz erlaubt sein. Im Entwurf ist die Rede von „Aktivitäten, die auf die Verbreitung von Kenntnissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Werten, Erfahrungen und Kompetenzen zum Zwecke der intellektuellen, geistigen und moralischen, schöpferischen, körper­lichen oder beruflichen Entwicklung einer Person abzielen.“

Der zweite Punkt betrifft die Zusammenarbeit von Bildungsinstitutionen mit internationalen Partnern. Demnach soll in Zukunft jede wissenschaftliche Kooperation mit ausländischen Personen oder Institutionen nur noch mit Genehmigung durch die zuständige föderale Behörde möglich sein. Darunter fielen gemeinsame Forschungsprojekte, internationale Konferenzen, die Entsendung von Studenten, ja sogar der „Austausch pädagogischer und wissenschaft­licher Literatur“.

Zuletzt soll das Gesetz unterbinden, dass Bildungsaktivitäten missbraucht werden, um zu Diskriminierung und zu verfassungsfeindlichen Aktionen aufzurufen und Falschinformationen zu verbreiten. Während dieser Punkt vor allem deshalb für Unverständnis sorgt, weil die erwähnten Tatbestände ohnehin durch andere Gesetze verboten sind, besitzen vor allem die ersten beiden politische Sprengkraft.

„Wie in einer kafkaesken Welt“

„Die Definition der Bildungsaktivitäten ist so weit gefasst, dass alles darunter fallen kann, bis hin zu einzelnen Blogs und YouTube-Kanälen, die von Liebhabern ohne kommerzielle Absichten betrieben werden – von Sportarten bis hin zu bestimmten Bereichen der Wissenschaft“, sagt etwa der Astrophysiker Sergej Popow gegenüber dem Magazin „Meduza“. Er ist der Urheber einer Petition gegen die Gesetzesänderung, die von mittlerweile weit über 200.000 Menschen unterzeichnet wurde. Sein Hauptargument: Die bürokratische Hürde einer Lizenzierung und der Abstimmung aller Inhalte werde für viele Bildungsangebote das Ende bedeuten, insbesondere solche, die vor allem aus Begeisterung an der Sache betrieben werden.

Zudem sei eine gesetzliche Regelung zu informellen Bildungsaktivitäten – entgegen der Aussage der Verfasser – schlichtweg überflüssig. Alles sei bereits durch andere Gesetze geregelt, etwa Mediengesetze. Manche Leute wollten jedoch „für alles ein Gesetz, wie in einer kafkaesken Welt“, so der Wissenschaftler im Interview mit „Meduza“.

Einer, der Auswirkungen auf seine Arbeit fürchtet, ist Wasilij Charitonow. Der Linguist setzt sich in vielerlei Hinsicht für die Minderheitensprachen Russlands ein, zum Beispiel mit Lesungen, Kursen, Workshops und Musik. Er sagt gegenüber der MDZ, die Gesetzes­änderung würde mit den Minderheitensprachen einen Bereich treffen, der schon jetzt hauptsächlich von der Initiative engagierter Aktivisten lebe. „Bei meiner nichtwissenschaftlichen Arbeit agiere ich oft als Privatperson, das macht mich unabhängig. Das sähe ganz anders aus, wenn ich alles mit Behörden abstimmen müsste.“

Petition hat breiten Zulauf

Die Initiative sah zahlreiche Wissenschaftler dazu veranlasst, eine Erklärung zu veröffentlichen. In dem von über 1000 Personen aus Forschung und Lehre unterzeichneten Schreiben, das im Magazin „Troizkij Wariant“ veröffentlicht wurde, ist die Rede von einem „Versuch des Staates, die Kontrolle über die Freiheit der Wissensvermittlung zu übernehmen.“ Die Änderung des Gesetzes werde zweifellos der Entwicklung von Wissenschaft, Kultur und Technologie im Land enormen Schaden zufügen. Unter Verweis auf die in der Verfassung garantierte Zensurfreiheit lehnen es die Unterzeichner ab, Lizenzen für Bildungstätigkeiten zu beantragen oder Manuskripte zur Genehmigung vorab einzureichen.

Eine Gruppe von Angehörigen verschiedener Bildungsprogramme, darunter etwa der Literaturkritiker und TV-Moderator Alexander Archangelskij, trat ebenfalls mit einer Erklärung im Magazin „Colta“ an die Öffentlichkeit, in der sie den Entwurf als „Form der Vorzensur“ bezeichneten, die „an die dunkelsten Seiten der russischen Geschichte“ erinnere.

Selbst das Präsidium der Rus­sischen Akademie der Wissenschaften (RAN) stellte im Januar einstimmig einen Antrag an die Staatsduma, die Gesetzesänderung zurückzuziehen, da sonst mit schweren Folgen für die russische Wissenschaft und Technologie zu rechnen sei. Vizepräsident Alexej Chochlow unterzeichnete demonstrativ die Petition Sergej Popows.

Den Hauptautoren des Änderungsvorschlags ficht das bislang wenig an. Er verfolge die Reaktion der Wissenschaftler, er betrachte jedoch nicht alle ihre Behauptungen als fair, kommentierte er die Kritik im Januar gegenüber der Zeitung „Kommersant“. „Hier geht es nicht um Universitätsprofessoren, hier geht es um unser wirkliches Leben“, sagte er mit Verweis auf terroristische Organisationen, die sich in der Bildung engagierten. Außerdem warf er den Kritikern vor, von „Kräften aus Washington angestachelt“ worden zu sein, wie die Zeitung berichtete.

In zweiter Lesung wurde das Gesetz nun mit leichten Veränderungen angenommen.

Jiří Hönes

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