Und wo habt ihr eure Datscha?

Moskau breitet sich in die Vorstädte aus. Monströse Hochhäusern umringen einsame Datschen. Wo kann man sich im Sommer noch niederlassen? In der heutigen Datschen-Kolumne geht es um unsere Suche nach dem Paradies.

Weit weg, doch dafür mit echter Datscha-Atmosphäre (Foto: Igor Beresin)

Wenn ich gefragt werde, wo mein Häuschen steht, antworte ich: „An der Nowaja Riga“ – das macht Eindruck. Heute könnte die Nowaja Riga, auch bekannt als Autobahn M9 westlich von Moskau, durchaus mit der berühmten Rubljowka konkurrieren. Die Rubljowskoje-Autobahn, das ist so ein klingender Name, ein Synonym für Reichtum, Luxus und Macht. Was das Prestige betrifft, so verlieren die anderen Richtungen deutlich gegenüber der Rubljowka und der Nowaja Riga. Das war jedoch nicht immer so. Die Dörfer Peredelkino (Minsker Autobahn) oder Walentinowka (Jarloslawler Autobahn) waren ebenso begehrte Orte wie das legendäre Barwicha an der Rubljowka. Gemütliche und grüne Vorstadtsiedlungen gab es einst überall. Doch die Nähe zur Metropole wurde ihnen zum Verhängnis.

Tagesbuch eines Datschniks
MDZ-Chefredakteur und Datscha-Besitzer Igor Beresin plaudert in seiner Kolumne aus dem Datschnik-Nähkästchen.

Walentinowka liegt heute an der Grenze von Koroljow, einer Satellitenstadt von Moskau. Zu Ihrer Datscha in Solntsewo können Sie jetzt mit der Metro fahren. Krjukowo, das ich als Kind so geliebt habe, hat sich in Selenograd aufgelöst. Die Stadt breitet sich aus, absorbiert die Datschensiedlungen, und die Atmosphäre der Orte verblasst.

Im Wald drängeln sich die Beerensammler

Für mich beginnt das Leben auf der Datscha 50 Kilometer hinter Moskau. Oder 100. Erst dort beginne ich mich gedanklich von der Stadt zu entfernen, und genau darum geht es ja. Und um die Natur. Wohin gehen die Menschen in Barwicha zum Beerensammeln? Wohl auf den Markt, ich bezweifle, dass es in den umliegenden Waldparks Beeren gibt.

Aber auch 100 Kilometer von der Hauptstadt entfernt ist nicht alles heile Welt. Mein derzeitiges Datscha-Projekt ist immer noch nur ein Grundstück, ein Haus steht hier noch keins. Aber der Ort ist wunderschön, zwischen Serpuchow und Tarussa, genau 100 Kilometer südlich. Tarussa. Wie wunderbar das klingt! Die russische Dichterin Marina Zwetajewa, der Schriftsteller Konstantin Paustowski und der Künstler Polenow lebten hier. Doch der Zauber dieses Ortes verflüchtigt sich allmählich. Die malerischen Felder werden zu noch mehr Datschen, in den Wäldern drängeln sich die Erdbeersammler.

Das Idyll hat seinen Preis

Also noch weiter weg? Sollte ich nicht zurück zum Projekt der Datscha meiner Eltern gehen? Nach zustimmendem Nicken meines Gesprächspartners, der von der Datscha an der Nowaja Riga gehört hat, füge ich ehrlich hinzu: „400 Kilometer von Moskau“. Es ist nicht sehr prestigeträchtig, aber man hat nicht das Gefühl, in einem Schlafsaal zu wohnen, und die Natur ist wunderschön. Dort kann man für eine kurze Zeit ein anderer Mensch werden. Und ich muss sagen, dass ich diesen Menschen mag.

Einige meiner Kameraden machen da auch nicht halt. Wie wäre es mit einem Sommerhaus an der Schwarzmeerküste oder gleich in Spanien? Verlockend. Aber gehen Spanien und Kreta als Teil der russischen Datschenkultur durch? Eine schwierige Frage. Ich werde darüber nachdenken, während ich sechs Stunden zu meinem mückenreichen Paradies in der Region Twer fahre.

Igor Beresin

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