Um Volkes Willen: Das Schicksal des russischen Referendums

Mit einer Volksabstimmung wollte sich Wladimir Putin seine Verfassungsänderungen absegnen lassen. Doch der Plan wurde schnell verworfen, da die Zustimmung nicht sicher war. Vorbehalte gegen ein Referendum gibt es aus historischen Gründen aber auch in der Bevölkerung. Um

5Beim Referendum im April 1993 wachte noch Lenin über die Stimmabgabe. (Foto: Boris Kaufman/ RIA Novosti)

Es war ein Vorschlag, mit dem Wladimir Putin aufhorchen ließ. In seiner Rede an die Nation Mitte Januar kündigte der Präsident an, über seine geplanten Verfassungsänderungen per Referendum abstimmen zu lassen. Die Aufregung war anschließend groß. Schließlich sollte es erste Mal seit 18 Jahren sein, dass Russlands Bevölkerung von ihrer Regierung in einen Entscheidungsprozess einbezogen werden könnte. Also direkte Demokratie. Doch kurz nach der Ankündigung folgte der Rückzug. Von einem Referendum sei nie die Rede gewesen, so Putin. Stattdessen plane man eine Volksbefragung, also einen Anruf bei den Menschen, um zu erfahren, ob sie denn den Plänen des Kremls zustimmen. Alle Versuche von Aktivisten, die Volksabstimmung einzufordern, blieben erfolglos. 

Russen wird gerne nachgesagt, sie würden der Demokratie nicht sehr nahestehen, da sie schlechte Erfahrungen mit ihr gemacht haben. Diese These kann man getrost anzweifeln. Aber selbst russische Experten sprechen davon, dass die Menschen im Land Volksabstimmungen durchaus kritisch sehen. 

Schlechte Erfahrungen mit Referenden

In Russlands jüngerer Geschichte gab es bisher drei landesweite Referenden. Und  alle waren einschneidende Ereignisse. So wurde im März 1991 an den Urnen über die Einführung eines russischen Präsidenten und gleichzeitig über den Erhalt der Sowjetunion entschieden. In beiden Fällen votierten die Russen mit „ja“. Während Boris Jelzin erster russischer Präsident wurde, war der sozialistische Staat sehr schnell Geschichte. Kurz darauf geriet das neue Russland in seine erste Krise.

Jelzin und der Kongress der Volksdeputierten standen sich unversöhnlich gegenüber und zusätzlich schwelte die Verfassungskrise im Land. Mit Volkes Willen ließ sich der Präsident im April 1993 als starker Mann bestätigen. Doch gelöst war die Krise damit nicht. Was folgte, waren Bilder vom brennenden Weißen Haus, dem Regierungssitz, die um die Welt gingen. Im Dezember 1993 durften die Russen schließlich über die neue Verfassung abstimmen und legten mit ihrem „ja“ den Grundstein für Russlands politische Entwicklung bis heute. Allerdings, so monieren Kritiker, seien die Fragen damals schlecht gestellt worden und ließen zu viel Deutungsspielraum zu. Bei der Bevölkerung blieb indes der Eindruck, alles nur verschlimmert zu haben.

Abgestimmt wird, wenn das Ergebnis schon feststeht

So konnte die Regierung danach guten Gewissens komplett darauf verzichten, das Volk um seine Meinung zu bitten. Zumindest landesweit. Denn lokale und regionale Referenden sind in Russland durchaus bekannt. Die Homepage der Zentralen Wahlkommission führt seit 2003 ganze 4689 Volksentscheide auf. Allerdings handelt es bei den meisten um lokale Plebiszite, bei denen die Menschen über Gemeindeumlagen oder Gebietsreformen entscheiden durften. So erhielten einige Regionen neue Haupstädte, eine andere Zeit oder verschwanden ganz. 

Wie viel Entscheidungsgewalt das Wahlvolk bei den Urnengängen wirklich hatte, ist durchaus umstritten. Denn Volksbefragungen, so die Meinung vieler Kritiker, werden nur dann durchgeführt, wenn das Ergebnis schon vorher feststeht.  Dafür wurden 2008 extra die Hürden für die Initiierung durch die Bevölkerung angehoben. Zwei Millionen Unterschriften müssen seitdem landesweit innerhalb von 45 Tagen gesammelt werden. 

Damit lassen sich auch unliebsame Volksbegehren auf regionaler Ebene abwiegeln. Das mussten die Einwohner der Kaukasusrepublik Inguschetien 2018 erfahren. Vergeblich versuchten sie, gefragt zu werden, ob die Grenze zum Nachbarn Tschetschenien neu gezogen werden solle. Auch die Gegner des Moskauer Mülls konnten sich in der Region Archangelsk mit ihrem Anliegen nicht durchsetzen. Ein geplantes Referendum der Aktivisten wurde kurzerhand von einem Gericht kassiert.  

Nur ein Mal wurde die Regierung fast schwach. Als 2018 die Anhebung des Rentenalters beschlossen und deswegen Proteste befürchtet wurden, brachte man eine Volksabstimmung ins Spiel. Allerdings verwarf man die Idee schnell wieder. Denn, wie Moderator und TV-Kremlsprachrohr Dmitrij Kiseljow damals sagte: „Man darf wichtige Fragen nicht der Menge überlassen“. Demnach ist auch 2020 kein Referendum nötig. Denn die wichtigen Fragen der russischen Politik werden nicht vom Volk entschieden. 

Daniel Säwert

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