Über Gott und die Welt: Was ein Handbuch russische Soldaten lehrt

Ein Spaziergang ist es nicht. Aber wenn die russischen Soldaten beim Ukraine-Einsatz befolgen, was Veteranen des Afghanistan-Kriegs ihnen in einem offiziell empfohlenen Büchlein ans Herz legen, dann kann nach Meinung der Autoren nicht viel schiefgehen. Aufschlussreich ist die Lektüre allemal.

Russische Reservisten werden auf den Einsatz vorbereitet, der laut Handbuch die „Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges“ ist. (Foto: Kirill Braga/RIA Novosti)

Warum müssen Russen überhaupt gegen Ukrainer kämpfen? Mit welchem Feind haben sie es bei diesem Unterfangen zu tun? Und auf welcher Seite steht eigentlich Gott? Das alles sind brennende Fragen, die nach einer Antwort verlangen. Als Rüstzeug für die Männer an der Front ist das geradezu unerlässlich, dachte man sich beim Verband der Afghanistan-Veteranen in der Stadt Stary Oskol und verfasste einen Leitfaden, um die eigene Kriegserfahrung mit der heutigen Generation zu teilen. Und die eigene Weltsicht.

Das 66 Punkte dicke Büchlein unter dem Titel „Ich lebe. Ich kämpfe. Ich siege. Regeln für das Leben im Krieg“ wurde mit Hilfe eines Duma-Abgeordneten verlegt und im Zuge der Teilmobilmachung an einberufene Reservisten verteilt. Es kann im Internet auch käuflich erworben werden. Das Zentralorgan des russischen Verteidigungsministeriums, der „Bote für militärische Bildung“, empfahl die Broschüre auf seiner Webseite bis vor Kurzem ausdrücklich zur Lektüre. Inzwischen ist sie in der Liste zwar nicht mehr enthalten, steht aber weiterhin zum Download bereit.

Abgefasst ist dieser Ratgeber trotz des offensichtlichen Ernstes seines Themas in einem eher hemdsärmeligen Stil, der sich wenig darum schert, die selbst für russische Verhältnisse denkwürdigen Thesen auch irgendwie zu belegen. Stattdessen werden im Tonfall von Auskennern, die schon alles erlebt und gesehen haben, Gewissheiten verbreitet, die scheinbar keiner hinterfragen soll.

In der Mehrzahl handelt es sich um praktische Tipps, das Leben unter Feldbedingungen, den Umgang mit der Waffe, die Gefahrenabwehr oder auch – Punkt 16 – das Verhalten gegenüber Ortsansässigen, „wenn sie frech werden“. Fälle von Protest, Sabotage, Spionage oder Diversion in den „befreiten Gebieten“, heißt es dort, würden von der Armee und dem Geheimdienst der Ukraine gesteuert. Das erlaube es, solche Einheimischen festzunehmen und wie Kriegsgefangene zu behandeln. Bei Gefahr für Leben und Gesundheit russischer Soldaten könne auch das Feuer auf sie eröffnet werden.

Viel Raum nimmt die Vermeidung unnötiger Risiken ein, etwa die Benutzung von Handys, das Fotografieren mit ihnen und die Veröffentlichung von Bildern in sozialen Netzwerken. Wie mit „Milchbärten“ zu verfahren sei, die partout nicht von ihren Smartphones lassen können, ist in Punkt 15 so beschrieben: „Für den Anfang kann man sich das Kamerahandy mit der Begründung aushändigen lassen, dass man sich die Fotos anschauen will, und es „versehentlich“ auf den Asphalt fallen lassen. Nach 5-6 solcher „Bilderschauen“ haben die Aufnahmen ein Ende.“

Aber die Autoren leisten auch ideologische Schützenhilfe. Wie sie sich und anderen die Welt beziehungsweise den Sinn der „Sonderoperation“ erklären und damit, siehe oben, den Gefallen der Militärführung gefunden haben, verdient besondere Aufmerksamkeit. Hier einige unkommentierte Auszüge.

Rachefeldzug von Deutschland & Co.

„Es genügt, sich die Liste der Länder anzuschauen, die Sanktionen gegen uns verhängt haben und die dem ukrainischen Regime helfen – Deutschland, Polen, Tschechien, Kroatien, Norwegen, Dänemark, Japan, Italien … Sie haben alle gegen uns gekämpft. In der Ukraine wollen sie sich heute an Russland für unseren Großen Sieg rächen. Also ist das für uns die Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges. Und wie unsere Großväter fünfundvierzig, ist es unsere verdammte Pflicht zu siegen.“

Ein Genozid an den Ukrainern

„Die Ukraine als Staat gibt es gar nicht. Was es gibt, ist das Gebiet der ehemaligen Ukrainischen Sowjetrepublik, welches vorläufig von einer terroristischen Bande besetzt ist. Die gesamte Macht halten dort Staatsbürger Israels, der USA und Großbritanniens in den Händen, die einen Genozid der alteingesessenen Bevölkerung organisiert haben, dem in den Jahren der „Unabhängigkeit“ 20 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Um zu überleben, verdingen sich die Leute, wie einst die Neger in den USA, für einen Hungerlohn auf europäischen Plantagen. Die Bordelle Europas sind voll von jungen Ukrainerinnen. Die Männer sind gezwungen, gegen Russland zu kämpfen.

Diesen Krieg wollen die USA und Europa „bis zum letzten Ukrainer“ führen. Die Menschen sind ihnen egal. Sie interessieren sich für das Land und seine Ressourcen. Ein solches Schicksal war auch uns zugedacht. Indem wir in der Ukraine kämpfen, schützen wir Russland und retten die Einwohner der Ukraine vor dem Genozid, den ukrainische und westliche Politiker an ihnen verüben.“

Heute Feinde, morgen wieder Russen

„Noch vor nicht allzu langer Zeit waren 96,7 Prozent der Ukrainer Russen. Aber 30 Jahre Unabhängigkeit haben sie eine normale Bildung, Kultur und Muttersprache gekostet und sie russophob werden lassen. Von Russen haben sie immer noch etwas. Wie wir sind auch sie mit den Heldentaten der Großväter aufgewachsen, die den Faschismus besiegt haben. Sie sind tapfere Krieger – zäh in der Verteidigung, kühn im Angriff. Irgendwann, nach der Entnazifizierung, werden sie wieder zu Russen, aber heute sind sie Feinde. Brutal und heimtückisch. Deshalb müssen wir sie schlagen, bis sie sich ergeben, und nicht nachlassen bis zum Sieg.“

Der Krieg als Fegefeuer

„Das Allerwichtigste. Gott ist mit uns! Die Prüfung des Krieges ist eine Art Fegefeuer, durch das wir gehen und so unsere Seele reinigen und den Glauben erlangen. Der göttliche Plan besteht darin, unsere Seelen aufzunehmen oder uns auf der Erde zu lassen, für eine Zukunft, die nur ihm allein bekannt ist.“

Für das Gute, gegen das Böse

„Davon, dass Russland und wir, seine Soldaten, heute auf der Seite des Guten kämpfen, zeugt die Tatsache, dass Tausende Russen aller Nationalitäten und unterschiedlichen Glaubens ohne Zwang, ihrem Gewissen folgend, in die soldatischen Reihen eingetreten sind, um gegen das Böse zu kämpfen.

Heute kämpfen wir – orthodoxe Christen, Muslime, Buddhisten und Schamanen – zusammen gegen den ukrainischen Nationalismus und den hinter ihm stehenden weltweiten Satanismus.

Wenn die militärische Sonderoperation einmal vorbei ist, dann werden die heutigen ukrainischen Soldaten wieder Seite an Seite mit den russischen Kriegern dem Westen entgegentreten, der diesen Bruderkrieg angezettelt hat. Die Rumänen und Finnen haben drei Jahre an der Seite der Deutschen gekämpft und dann ihre Gewehre gegen die Faschisten gerichtet. So war es immer. Und so wird es auch diesmal sein.“

Tino Künzel

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