Die Szene sorgte für Empörung in ganz Russland. Michail Ignatjew, Gouverneur der Republik Tschuwaschien, reicht einem Feuerwehrmann in Uniform einen Autoschlüssel. Als dieser danach greifen will, zieht er die Hand hoch und lässt den Beamten danach springen. Das Video entstand bei der Übergabe neuer Feuerwehrfahrzeuge an das Katastrophenschutzministerium. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und den Gouverneur letztlich sein Amt kostete.
Zunächst wurde er aus der Partei „Einiges Russland“ ausgeschlossen. Er habe die Ehre und Würde eines Offiziers verletzt, der Leben rettet, so der Sekretär der Ethik-Kommission der Partei, Jewgenij Rewenko. So jemand gehöre „nicht in unsere Reihen“. Nur einen Tag später erklärte Präsident Wladimir Putin die Entlassung Ignatjews wegen Vertrauensverlusts.
Erst wenige Wochen zuvor hatte Michail Ignatjew schon einmal für einen Skandal gesorgt, gar über die Landesgrenzen hinweg. Beim Tag der Presse hat er sich über Journalisten und Blogger ausgelassen. Es gebe in Tschuwaschien Leute, die aus irgendwelchen Ecken Russlands kämen, um hier zu schreiben und alles zu kritisieren. „Wo kommen sie her? Wo leben sie? Was denken Sie? Womit verdienen sie ihr Geld?“ Und dann der fatale Satz – nicht wörtlich, aber für jeden verständlich: Man müsse sie umbringen.
Tschuwaschien stagniert wirtschaftlich
Der Auftritt des nun geschassten Republikoberhaupts hatte eine obskure Vorgeschichte. Der Blogger und Aktivist Jurij Sidorow hatte wenige Tage zuvor einen Dorfpriester dazu überredet, ein Gebet zu sprechen, um Korruption und Dämonen aus dem tschuwaschischen Regierungsgebäude zu vertreiben. Ein Video der Aktion ist bei YouTube zu sehen. Es liegt nahe, dass Ignatjew hierauf anspielte, als er gegen „Journalisten und Blogger von irgendwo in Russland“ wetterte. Sidorow stammt aus Tula.
Doch schon vor den jüngsten Skandalen brodelte es in Tschuwaschien. Die Republik an der mittleren Wolga hat wirtschaftliche Probleme. Ignatjews Amtsvorgänger Nikolaj Fjodorow kritisierte dessen Wirtschaftspolitik schon vor Jahren öffentlich. „In den zehn Jahren unter Ignatjew herrschte hier wirtschaftliche Stagnation. Viele Menschen verließen die Republik, um in Moskau, im Norden oder in Sibirien Arbeit zu finden. Die Kritik ist durchaus berechtigt“, sagt Alexander Below von der Onlinezeitung „Prawda PFD“ gegenüber der MDZ.
Auch das Gebet gegen Korruption kam nicht grundlos. Der damalige Wirtschaftsminister Wladimir Awrelkin war im Dezember 2018 an seinem Arbeitsplatz verhaftet worden. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Betrugs und Machtmissbrauchs. Er soll Gelder aus dem Staatshaushalt veruntreut haben, indem er zwei Unternehmen gesetzeswidrig Subventionen zukommen ließ. Der Schaden soll sich auf 23,8 Millionen Rubel (etwa 340 000 Euro) belaufen.
Korruptionsfälle im Umfeld Ignatjews
Zudem wurde die Schwester der jetzt ebenfalls entlassenen Finanzministerin Swetlana Elinina, einer engen Vertrauten Ignatjews, Ende 2019 wegen Erpressung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. „Die Korruption im engeren Kreis um Ignatjew ist in Tschuwaschien allgemein bekannt“, so Alexander Below. Laut der Zeitung „Kommersant“ waren zuletzt 60 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit des Oberhaupts unzufrieden. Die Stiftung „St. Petersburger Politik“ habe Ignatjew schon Anfang Januar auf einer Liste von Gouverneuren geführt, die ihren Posten bald verlieren könnten.
Interimsnachfolger wurde nun relativ überraschend Oleg Nikolajew. Der bisherige Staatsduma-Abgeordnete gehört der sozialdemokratischen Partei „Gerechtes Russland“ an.
In Tschuwaschien stößt der Wechsel auf positive Reaktionen. „Die Leute sind froh, dass ein ziemlich junger, effizienter, nicht der Korruption beschuldigter Kandidat ins Amt kam. Und er gehört nicht der Partei ‚Einiges Russland‘ an. Auch wenn es keinen großen Unterschied macht, es ist doch eine Alternative. Angesichts der Tatsache, dass 95 Prozent der Gouverneure Vertreter von ‚Einiges Russland‘ sind, stößt ein Mitglied einer anderen Partei bereits auf gewisse Sympathien“, kommentiert Alexander Below.
Der Politikwissenschaftler Jewgenij Mintschenko äußerte gegenüber dem „Kommersant“ die Vermutung, dass die Ernennung eines Mitglieds der Sozialdemokraten eine Belohnung für das kremltreue Verhalten der Partei sei.
Im Herbst sind Gouverneurswahlen in Tschuwaschien. Oleg Nikolajew hat seine Teilnahme bereits signalisiert.
Jiří Hönes