Touristenland mit Für und Wider

Die russische Fremdenverkehrs­industrie kann Erfolge vermelden: 2018 ist die Zahl der ausländischen Touristen erneut gestiegen. Doch zwischen den Zeilen der Statistik verstecken sich diverse schlechte Nachrichten.

Eines der schönsten Touristenziele in der näheren Umgebung von Moskau ist Wladimir mit Bauten wie dem Goldenen Tor von 1164. © Tino Künzel

Einmal den Roten Platz abschreiten. Sich in der Eremitage verlaufen. Tagelang Eisenbahn fahren. Im tiefsten See der Erde baden. Es gibt neben diesen wahrscheinlich noch tausend andere gute Gründe, Russland einen Besuch abzustatten und nebenbei die Fernsehberichterstattung mit der Realität abzugleichen. Das fanden zuletzt immer mehr Menschen. Die Heimat des Zwiebelturms gehört vielleicht noch nicht zu den touristischen Großmächten in der Welt, doch 2017 ist die Zahl der ausländischen Besucher nach amtlichen Angaben um 4 Prozent gestiegen und 2018 um 5,3 Prozent. Die Weltorganisation für Tourismus bei den Vereinten Nationen (UNWTO) führt das Land nach dem Touristenaufkommen auf Platz 16 in der Welt und auf Platz 9 in Europa.

Wie allerdings die laut UNWTO 24,4 Millionen Einreisen ausländischer Touristen allein für das Jahr 2017 gezählt wurden, bleibt einigermaßen rätselhaft. In Russland werden solche Zahlen von der Statistikbehörde Rosstat erhoben (nach Hotelübernachtungen), aber auch vom Inlandsgeheimdienst FSB (nach Grenzübertritten). Rosstat weist für 2018 rund 10,2 Millionen ausländische Besucher aus. Nach Angaben des FSB waren es 4,2 Millionen, die ein Touristenvisum in ihren Pass gestempelt hatten. Bei den Herkunftsländern führten dabei mit großen Abstand die Chinesen die Tabelle an (1,3 Millionen), gefolgt von den Deutschen (451.467), den Südkoreanern (342.308) und Amerikanern (227.656).

Doch alle genannten Zahlen beziehen sich auf zwei Jahre, in denen Russland mit dem Confed Cup und der Fußball-Weltmeisterschaft sportliche Großereignisse ausrichtete, was sich auch in der Statistik niedergeschlagen haben dürfte. Zudem sind andere Angaben durchaus ernüchternd. So hat die OECD ermittelt, dass 70 Prozent aller Hotelübernachtungen ausländischer Touristen in Russland auf Moskau und St. Petersburg entfallen. Der Fremdenverkehr in den Regionen ist mithin stark unterentwickelt. Landesweit liegt der Anteil von Ausländern bei Hotelübernachtungen bei nur 6,7 Prozent, heißt es in einem Bericht unter dem Titel „Der Einfluss des Incoming Tourism auf die Wirtschaft Russlands“, erstellt vom Analysezentrum der Regierung im Herbst 2018. Weiter ist dort vermerkt, dass sich ausländische Touristen im Schnitt acht Tage in Russland aufhalten – ein bis drei Tage an einem Ort – und dafür etwa 2000 Euro ausgeben.

Es wird erwartet, dass das Wirtschaftsministerium und die staatliche Fachorganisation Rostourism in naher Zukunft eine Strategie zur Tourismusentwicklung in Russland bis zum Jahr 2035 vorstellen. Sie befindet sich seit geraumer Zeit in Vorbereitung. Einige Eckdaten sind bereits bekannt. So beträgt bisher die Hotelauslastung in den Regionen nur 35 Prozent. Und nur 46 Prozent aller Russen haben in den letzten fünf Jahren Urlaub außerhalb ihrer Heimatregion gemacht. Das Wachstumspotenzial ist also einerseits groß, allein die Möglichkeiten der eigenen Bevölkerung, dem Tourismus in Russland Flügel zu verleihen, scheinen begrenzt.

Dennoch soll sich der Beitrag des Fremdenverkehrs zum Bruttoinlandsprodukt bis 2035 fast verdoppeln – von heute 3,8 auf 6 Prozent. Ein weiteres erklärtes Ziel lautet, im UNWTO-Ranking der Touristenländer unter die Top 10 vorzustoßen.

Russland will sich auch im Ausland stärker präsentieren. Die meisten Regionen tun das bisher nur mit Hilfe des nationalen Tourismusportals Russia.Travel. Ein riesiges Hemmnis, das Spontanreisende abhält, ist nach wie vor die Visumspflicht. Gute Erfahrungen wurden an Russlands Ostküste mit E-Visa für bestimmte Kategorien von Ausländern gemacht. Zum 1. Juli werden E-Visa auch für Kaliningrad eingeführt.

Tino Künzel

Nationales Tourismusrating

Welche russische Regionen sind führend beim Incoming Tourism und welche völlig unattraktiv? Das Zentrum für Informationskommunikation „Rating“ sowie die Zeitschriften „Urlaub in Russland“ für Binnentourismus und „Tourism & Leisure in Russia“ für Ausländer veröffentlichen einmal im Jahr eine entsprechende Rangliste. Die soeben erschienene Auflage für 2019 wird von Moskau angeführt, auf den folgenden Plätzen finden sich St. Petersburg und der Primorskij Kraj, also Russlands äußerster Osten am Pazifischen Ozean. Ebenfalls auf vorderen Plätzen: das Moskauer Umland sowie die Regionen Krasnodar und Kaliningrad. Schlusslichter sind die Jüdische Autonome Oblast, die Transbaikal-Region und der Autonome Kreis der Tschuktschen.

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