Touristen, Spitzel, Pannen

Skripal-Affäre, enttarnte Agenten und peinliche Schlampereien: Der russische Auslandsgeheimdienst GRU hat im Jahr 2018 gleich mehrere Niederlagen einstecken müssen. Die Gründe für das Versagen sind vielfältig.

Das sogenannte Aquarium, der Sitz des geheimnisumwitterten GRU im Moskauer Stadtzentrum. /Foto: dp.ru

Sie seien als unbescholtene Touristen gekommen, um die gotische Kathedrale von Salisbury zu besichtigen, wurden daran von plötzlichen Schneefällen gehindert – und dann auch noch grundlos eines schweren Verbrechens bezichtigt: Die Geschichte, die zwei von London beschuldigte Russen Mitte September im Fernsehen auftischten, hat für viel Spott und Hohn in Russland gesorgt.

Stockend und unbeholfen im Fernsehen

Nicht nur die stockende und unsichere Art der Männer, welchen London die Beteiligung an der Vergiftung des früheren Doppelagenten Sergej Skripal vorwirft, erschien vielen Zuschauern unglaubwürdig. Auch inhaltlich blieben nach dem Interview im Fernsehsender RT mehr Fragen als Antworten. Warum machten die beiden ausgerechnet das provinzielle Salisbury zum Hauptziel ihres dreitägigen London-Trips? Weshalb sollten sich gerade Russen von Schneefällen stören lassen? Und warum hielten sie sich genau in der Stadt auf, in der Skripal vergiftet wurde?

Der Blogger Dmitrij Olschanskij nannte das Gespräch „eine völlige Katastrophe für unseren Auslandsgeheimdienst und unsere Propa­ganda“. Dies sahen auch viele andere Russen so. Kaum einen Monat später identifizierte das Recherchenetzwerk „Bellingcat“ einen der Männer als Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU (Hauptverwaltung für Aufklärung). Deutsche Zeitungen sprachen daraufhin von einer der peinlichsten Niederlagen der russischen Geheimdienste. Dabei war die Skripal-Affäre im Jahr 2018 nur der bekannteste Fall, mit dem der geheimnisumwitterte GRU von sich reden machte.

Erhebliche Zweifel an der Professionalität

Gleich eine ganze Reihe von Vorfällen weckte ernsthafte Zweifel an der Professionalität des Dienstes, der im Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums besonders risikoreiche Operationen im Ausland durchführt. So wurden beispielsweise im April vier mutmaßliche GRU-Offiziere in den Niederlanden festgenommen. Die Männer hatten ihren Mietwagen direkt vor dem Hauptquartier der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) geparkt und mit Abhörtechnik offenbar versucht, in deren Computersystem einzubrechen. Die Agenten waren mit Pässen mit dicht aufeinanderfolgenden Seriennummern unterwegs, anhand derer ganze Agenten-Netzwerke ausgehoben werden können. Zudem hatte einer der Männer noch eine Taxiquittung für die Fahrt vom GRU-Sitz zum Moskauer Flughafen Scheremetjewo in der Tasche. „Fehlen nur noch Schapkas, Papirossi und Fallschirme“, ätzte der Radiosender „Echo Moskwy“ daraufhin.

Die Rechercheplattformen „The Insider“ und „Bellingcat“ ermittelten anschließend eine Moskauer Adresse, auf die einer der überführten Agenten sein Auto gemeldet hatte. Unter der Adresse fanden die Journalisten auch Handy- und Meldedaten von insgesamt 305 Fahrzeughaltern und enttarnten somit vermutlich mehrere Hundert GRU-Mitarbeiter. Das stümperhaft anmutende Vorgehen scheint im GRU weitverbreitet zu sein.

Ist die Armeereform schuld?

Auch in der Schweiz, Montenegro und den USA wurden 2018 Agenten enttarnt. Zu den Gründen für die Patzer äußert sich der Geheimdienst naturgemäß nicht. Der Moskauer Journalist Daniil Turowskij deutet in einem Dossier für das Onlineportal „Meduza“ jedoch auf die möglichen Folgen der Armeereform im Jahr 2010 hin, von der auch der GRU betroffen war. Viele Offiziere und Ausbilder seien entlassen worden, Forschungseinrichtungen hätten ihre Arbeit für den Dienst eingestellt. Darunter habe vor allem die Auslandsspionage gelitten.

Der Berliner Geheimdienstexperte Christopher Nehring macht beim GRU nach Jahren erfolgreicher Auslandsoperationen zudem ein Gefühl der Unverwundbarkeit aus. Darüber hinaus gebe es wie in vielen Behörden auch beim GRU Schlampereien, Realitätsverweigerung und Korruption. Auch seien die westlichen Behörden oft zu lasch mit den Agenten umgegangen, schreibt Nehring in einem Beitrag für die Internetplattform „Dekoder“.

Geheimtreffen im Verteidigungsministerium

Dass das Versagen im GRU für große Aufregung sorgte, fand der Investigativ-Journalist Sergej Kanjew heraus. Demnach habe es Anfang Oktober eine geheime Sitzung im Verteidigungsministerium gegeben. Dabei seien die peinlichen Aktionen mit scharfen Worten verurteilt worden. „Unterbelichtete Inkompetenz“, „unermessliche Schlampigkeit“, „Idioten“, gibt Kanjew nur einige der hitzigen Zitate aus der Runde wieder.

Nach der Pannenserie bekam der GRU Anfang Dezember 2018 mit Vize-Admiral Igor Kostjukow dann einen neuen Leiter. Sein Vorgänger Igor Korobow war nach offiziellen Angaben zuvor im Alter von 62 Jahren an einer schweren Krankheit gestorben.

Birger Schütz

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