Systemopposition: Nicht mehr gefragt

Sie präsentiert leicht von der Kremllinie abweichende Vorschläge und hält sich sonst an die Regeln: Die sogenannte Systemopposition feierte bei den Kommunalwahlen im Herbst Erfolge. Und dennoch kriseln die oppositionellen Parteien in der Duma – warum?

Zu zahm? Sergej Mironow (Gerechtes Russland), Wladimir Schiri­now­ski (LDPR) und Gennadi Sjuganow (KPRF) überzeugen nicht mehr. (Foto: yandex.net)

In Russland ist Opposition nicht gleich Opposition. Die Systemopposition, also die in der Duma vertretenen Parteien „Gerechtes Russland“, „LDPR“ und die Kommunisten, werden von der nichtsystemischen, außerparlamenta­rischen Opposition unterschieden, deren bekanntestes Gesicht Alexej Nawalny ist.

Systemopposition im schlechten Zustand

Umstritten ist, ob es sich bei der Systemopposition überhaupt um Oppositionelle handelt. Gerade Regierungsgegner wie Nawalny bestreiten das, obwohl er bei den Kommunalwahlen unter dem Motto „Kluges Wählen“ dazu aufforderte, stets den aussichtsreichsten Kandidaten der System­opposition zu stützen, um so das Machtmonopol des Kreml zu brechen und die Bereitschaft zu einer Gegnerschaft gegenüber der Regierung zu demonstrieren.

Der aktuell schlechte Zustand dieser Parteien zeigt sich am deutlichsten am offiziell sozialdemokratischen „Gerechten Russland“. Dieses entstand im Zuge einer Parteienfusion 2006, welche viele als von oben arrangiert ansahen. Doch selbst in Russland läuft nicht immer alles, wie es der Kreml plant.

Die Partei hatte in den Folgejahren eine Sogwirkung auf Politiker, die gemäßigt links und nicht immer regierungsnah waren. Es gab hohe Hürden für Parteigründung und Wahlteilnahme und „Gerechtes Russland“ war die Alternative zur Bedeutungslosigkeit. Doch die Zeiten, in der die Partei ein begrenztes, oppositionelles Eigenleben entfaltete, sind durch einen immer stärkeren Anpassungskurs der letzten Jahre vorbei.

Tumulte auf Parteitag

Mittlerweile ist der Zustand von „Gerechtes Russland“ so besorgniserregend, dass viele mit einem baldigen Ende der Parlamentstätigkeit rechnen. Tumulte gab es etwa auf dem letzten Moskauer Regionalparteitag. Die Ursache war, dass die Kandidatenliste für eine Wahl zuvor zwar mit Putins Regierungspartei, nicht jedoch mit der eigenen Basis abgesprochen war.

Das ist kein Einzelfall. Auch in Samara hagelte es Betrugsvorwürfe gegen den neugewählten regierungsnahen Regionalvorsitzenden, nachdem kritische Delegierte von dessen Sicherheitsfirma am Betreten des Wahlparteitags gehindert wurden. Überall gibt es Schlagzeilen von Austritten und Ausschlüssen.

In nur einem unwesentlich besseren Zustand befinden sich die Kommunisten, die einzige Parla­mentspartei mit langer Tradition. Die KPRF leidet an chronischer Überalterung und hat mit viel linker Konkurrenz zu kämpfen. Ihr Problem ist, dass sie zwar auf einen treuen Kader zurückgreifen kann und noch Aktionspotential hat, jedoch nichts unternimmt, um ihre Wählerbasis zu erweitern, meint der Politologe Konstantin Kalatschew.

Die KPRF sei passiv und untätig, die russische Mittelschicht anzusprechen. Als Partei ohne Hoffnung in einer ernsten Ideenkrise sieht sie das Experteninstitut für Sozialforschung.

Wenn die Stammwähler fehlen

Auch die dritte Parlamentskraft neben den Putinisten, Wladimir Schirinowskis LDPR, ist in einer Krise. Sie unterscheidet sich von Putins Wahlverein „Einiges Russland“ eher stilistisch als inhaltlich, durch eine populistische Form von demonstrierter Bürgernähe und Nationalismus.

Eine aktuelle Studie des Instituts WZIOM konstatiert bei der LDPR ein nachlassendes Interesse der Wähler, man sieht sie als Teil des Herrschaftsapparats, es fehlen Stammwähler. Schirinowski wisse, wann er große Töne spucken und wann er sich fügen muss, drückte der Soziologe Boris Kargalizky ein allgemeines Image der Partei aus. Auch die Proteste nach der Absetzung des LDPR-Gouverneurs Furgal in Chabarowsk kann sich die Partei nicht zuschreiben – denn Schirinowski hatte selbst von einer Teilnahme abgeraten.

So wird eine zunehmende Scheinopposition für Leute mit wirklichen Widersprüchen zum Regierungskurs unattraktiv, Mitglieder und Wähler wandern ab. An ihre Stelle werden früher oder später in der Duma andere Parteien treten. Es bleibt spannend, ob diese dann im Kreml mehr echte Oppositionssorgen wecken.

Roland Bathon

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